In ihrem Band zur Museggpredigt von Konrad Schmid präsentieren Beat Hänni und Ruth Jörg eine tiefgreifende Analyse dieses frühen Schlüsseltexts der Schweizer Reformation. Schmid, ein enger Vertrauter Zwinglis, hielt 1522 eine reformatorische Predigt, die sowohl Begeisterung als auch Kritik hervorrief. Zum 500-jährigen Jubiläum bieten die Autoren ein Faksimile der Predigt, moderne Übersetzungen und kontextuelle Einschätzungen.
Ein reformierter «Predigtstar» aus Zürich wurde 1522 eingeladen, die traditionelle Festpredigt bei der jährlichen Prozession der Luzerner auf die Musegg zu halten. Konrad Schmid (1476-1531) gehörte zum inneren Freundeskreis von Zwingli. Nachdem er wenige Jahre als Leutpriester im aargauischen Seengen gewirkt hatte, wurde er 1519 als geistlicher Leiter und Verwalter der Johanniterkommende in Küsnacht eingesetzt. Schon früh las er humanistische und reformatorische Schriften, studierte Griechisch und predigte in Küsnacht in reformatorischem Sinn. Sowohl an der Zweiten Zürcher Disputation 1525 als auch an der Berner Disputation 1528 argumentierte er öffentlich für die reformatorischen Neuerungen, die Abschaffung der Bilder und der Messe sowie gegen die Täufer. Im Jahre 1525 heiratete Schmid. An den beiden Kappeler Kriegen nahm er als Feldprediger teil und fiel 1531 auf dem Schlachtfeld.
Die Museggpredigt von Konrad Schmid vom 24. März 1522 hörten 3000-4000 Menschen. Sie wurde auf Deutsch vorgetragen und provozierte in der katholischen Innerschweiz sowohl Begeisterung als auch massive Kritik. Darüber hinaus ist es die erste erhaltene Predigt aus dem Umkreis der Zürcher Reformation in gedruckter Form.
Zum 500. Jahrestag dieses wichtigen Ereignisses organisierte die Kirchgemeinde Luzern eine Gedenkveranstaltung. Beat Hänni, Pfarrer und Kirchenhistoriker, sowie Ruth Jörg, Germanistin, die bereits in der «Zwingliana» einen wissenschaftlichen Aufsatz zu Konrads Schmids Predigt publiziert haben, legen nun einen ansprechenden und reich bebilderten Band zu diesem «Schlüsseltext der schweizerischen Reformation» vor.
Im Zentrum dieser Publikation steht die Reproduktion eines der sechs Exemplare der Predigt, die sich in der Zentralbibliothek Zürich befinden. Das Faksimile zeigt den 24 Seiten umfassenden Druck aus der Werkstatt der Druckerei Froschauer in Zürich von 1522, versehen mit einigen wenigen Anmerkungen eines Korrektors der Druckerwerkstatt. Der Titel «Antwort» zeigt bereits an, dass Schmid nicht nur seine Predigt mit einer kurzen Einleitung dazu veröffentlichte, sondern auch seine Entgegnung auf die Vorwürfe des Luzerner Dekans und eines namentlich nicht bekannten zweiten Priesters. Die Germanistin Ruth Jörg hat den Text der «Antwort» sorgfältig transkribiert und in einer gut lesbaren Synopse in heutiges Deutsch übertragen. Der Historiker und Bibliothekar Martin Germann gibt eine Übersicht zu den erhaltenen Drucken der Flugschrift «Antwort».
Gut lesbare historische und theologische Einordnungen erhellen den Text der Predigt Konrads Schmids im Kontext der damaligen Zeit bis hin zu seiner Relevanz für die gegenwärtige Kirche und ihre Herausforderungen. Nach einem Grusswort der Präsidentin der Evangelischen Kirche Schweiz, Rita Famos, und einer Rückblende zu den 500-Jahr-Feierlichkeiten der Museggpredigt verortet Beat Hänni die Predigt im Kontext der frühen Schweizer Reformationsgeschichte sowie in der Biographie Konrad Schmids. Der Historiker Hans Jurt beschreibt den Verlauf und die Bedeutung des Museggumgangs, der als Schauprozession der Reliquien des Stadtheiligen Leodegar seit der grossen Feuersbrunst 1340 von der Obrigkeit angeordnet wurde. Die Prozession war nicht nur ein Höhepunkt im Festkalender der Stadt mit einem üppigen Fischessen während der Fastenzeit und ein Ausdruck katholischer Schaufrömmigkeit, sondern auch eine Machtdemonstration der Stadt über die umliegende Landschaft. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat man die Prozession eingestellt.
In einer ausführlichen Würdigung geht Beat Hänni auf die Predigt Konrad Schmids ein und beleuchtet ihre theologische und homiletische Bedeutung. Er stellt der Predigt Zitate von Zwingli, Luther und aus anderen zeitgenössischen reformatorischen Schriften an die Seite und zeigt dabei, wie bereits im Jahr 1522 bei Schmid alle wesentlichen Merkmale reformatorischer Theologie in nuce vorhanden waren.
Obwohl die «Antwort» eine frühe reformatorische Streitschrift ist, finden sich in ihr viele Stellen von fröhlicher Heiterkeit und Freude über die reformatorischen Entdeckungen. Aus dem Zitat, das dem Buch den Titel gegeben hat, spricht ein befreiender, barmherziger Gottesglaube: Sündenvergebung geschieht durch die Verheissung Gottes, «ze blintzeln unnd duch die finger ze luogen über die offnen sünd».
Schmid betont immer wieder die Freundlichkeit und Innigkeit Gottes. So beruft er sich auf Jesaja 66 und schreibt: «Gott verspricht uns, er […] werde sich uns zuwenden wie eine Mutter ihrem Kind, das sie auf ihren Schoss nimmt, ihm die Brust gibt und an ihr Herz drückt.» Beat Hänni arbeitet eindrücklich heraus, wie Schmid sich auf die theologischen Entdeckungen der Reformation konzentriert und dabei immer wieder versucht, Brücken zu bauen. Die vier reformatorischen Grundsätze (sola scriptura, solus Christus, sola gratia, sola fide) werden homiletisch überlegt eingeführt und erklärt.
Die später mit fides quae und fides qua zusammengefasste Unterscheidung der zwei Arten des Glaubens formuliert Schmid in einfachen Worten: Es gebe den Glauben an die Geschichten, an das, was wirklich geschehen ist, und den Glauben an die Verheissung. Die erste Art von Glauben mache «nicht selig, es sei denn, du glaubst auch, dies sei für dich geschehen und dir auch verheissen.»
Der Luzerner Kirchenhistoriker Markus Ries stellt schliesslich die Museggpredigt Schmids in den weiteren Rahmen der Luzerner Kirchen- und Reformationsgeschichte. Bekanntlich wurde die Stadt nach den Kappeler Kriegen zum Zentrum der Gegner der Reformation. Ries geht den Gründen nach, weshalb die Bewegung in Luzern nach der fulminanten Predigt Schmids so rasch wieder ein Ende gefunden hat. Er nennt religionsgeschichtliche, politische und wirtschaftliche Faktoren. Zusammenfassend charakterisiert Ries die Luzerner Ereignisse als «Reformationsversuch», eine Wortwahl, die jenseits jeder Polarisierung und Moralisierung den Blick öffnet für die ökumenischen Bemühungen und Anfänge im 19. und 20. Jahrhundert.
Die schön gestaltete und reich bebilderte Herausgabe der Museggpredigt Konrad Schmids gehört zu den Trouvaillen der reformationshistorischen Forschung rund um die Jubiläen der letzten Jahre. Das Buch weitet den Blick auf Ereignisse ausserhalb der grossen Reformationsstädte und schärft zudem die theologische Urteilskraft durch eine frühe Zusammenfassung reformatorischer Theologie. In den kirchlichen Krisen der Gegenwart lohnt es sich, den befreienden und erfrischenden Quellen reformierter Kirche und reformatorischen Glaubens neue Aufmerksamkeit zu schenken.
Das Buch gehört nicht nur in die Bücherregale von historisch interessierten Fachpersonen, sondern kann mit grossem Gewinn auch in Bibelkreisen oder in der Erwachsenenbildung benutzt und studiert werden.
Hänni, Beat / Jörg, Ruth, Wenn Gott duch die Finger blinzelt. Konrad Schmids Predigt von 1522 in Luzern. Ein früher Schlüsseltext der schweizerischen Reformation, TVZ, 2024.
Rudolf Gebhard hat zur Kirchengeschichte promoviert und ist seid 2019 Pfarrer in der Kirchgemeinde Zofingen (Aargau)
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