«Tatsächlich gibt es keine ‹Position im Dasein› (um Kants Ausdruck zu verwenden), die nicht zugleich gegenseitige Ex- und Im-Position innerhalb einer Dis-Position ist.»
Jean-Luc Nancy
Theologien scheitern nicht an Gott, sondern an den Menschen und ihrer Umwelt. Über «richtige» Theologie muss gestritten werden, weil sie notgedrungen im Trüben fischt (1Kor 13,9). Kein Dissens darf darüber bestehen, dass Gottes- und Menschenbilder zynisch und falsch sind, die die Anerkennung von Personen nicht fördern und stärken und Personen vor Ausgrenzung, Erniedrigung und Verletzung nicht schützen. Kirche und Theologie kommen Gott nicht näher, wenn sie sich von den Menschen entfernen. Wenn die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus im Zentrum steht, gibt es allen Grund, Gott in der Welt aufzusuchen und nicht in erhofften und imaginierten Gegenwelten. Weltvergessenheit und Weltüberheblichkeit sind nur andere Varianten der Gottesferne. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von «Mensch» und «Person» unter den theologischen Bedingungen von Geschöpflichkeit. Der herausgehobene Status der Menschen in der biblischen Schöpfungsgeschichte, der sich zuerst darin zeigte, dass nur sie fähig waren, die gute Schöpfung Gottes zu vermasseln, bilden nicht nur den Ausgangspunkt der theologischen Anthropologie, sondern rücken auch ihren Gegenstand – den Menschen – von Anfang an in ein ambivalentes Licht. Der schöpfungstheologischen und hamartiologischen Zweischneidigkeit des Menschen entspricht eine bemerkenswerte theologisch-anthropologische Zurückhaltung bei der Frage nach der Personalität des Menschen und was daraus für das menschliche Leben und Zusammenleben folgt.
Die Dringlichkeit der Fragen ergibt sich weniger aus theoretischen Überlegungen als aus konkreten Erfahrungen diskriminierender und entwürdigender Praktiken. Zwei Beispiele: (1.) In den Kontroversen um die gleichgeschlechtliche Ehe und in den aktuellen Debatten über Genderdiversität werden binärgeschlechtliche Definitionen «des» Menschen gegen die Selbstbestimmung und Identität von Personen behauptet. Traditionelle Menschenbilder werden gegen das Recht auf persönliche Integrität in Stellung gebracht mit dem Ziel, die Freiheit der Person durch die exklusive Setzung partikularer Menschenbilder einzuschränken. (2.) Die Opfer von sexualisierter und anderer Formen von Gewalt, Diskriminierung und Rassismus leiden nicht darunter, dass ihnen ihr Menschsein abgesprochen wird, sondern daran, dass ihre Würde und ihr Status als freie und selbstbestimmte Subjekte missachtet und mit Füssen getreten wird. Gewalt an Personen geschieht nicht, weil Täter:innen übersehen, dass es sich bei ihren Opfern um Menschen handelt, sondern weil sie sich brutal über deren Status als selbstbestimmte Personen hinwegsetzen und sie zu rechtlosen Objekten ihrer Willkür machen.
In beiden Beispielen steht – mit Hannah Arendt – das fundamentalste Menschenrecht, das «Recht, Rechte zu haben» auf dem Spiel. Dieses Recht garantiert, «in einem Beziehungssystem zu leben, […] nach seinen Handlungen und Meinungen beurteilt» zu werden und «einer politisch organisierten Gemeinschaft zuzugehören». Jede Gewalttat verweigert dieses Recht und führt zum «Verlust der Relevanz und damit der Realität der Sprache» und damit zum «Verlust aller menschlichen Beziehungen». Damals wie heute schützt die Einsicht des Pontius Pilatus «Ecce homo» – Siehe, der Mensch (Joh 19,5) – nicht davor, gedemütigt, missbraucht und massakriert, also des Rechts auf Rechte beraubt zu werden. Nicht die biologische Gattungszugehörigkeit, sondern der garantierte Status als Rechtsperson schützt die Menschen vor Kreuzigungen aller Art.
Die Beispiele dokumentieren auch das Scheitern von Theologien, die nicht fähig oder bereit sind, die Aufmerksamkeit kirchlichen Redens und Handelns für die Freiheit und Schutzwürdigkeit der Person einzufordern und zu schärfen. Gelingt das nicht, werden die Opfer von Ausgrenzung und Gewalt auch zu Opfern von Theologien, die die Leben und Lebensweisen von Personen ihren Lehrsystemen und Dogmen unterordnen. Theologien, die Kirchen, ihre Verkündigung und Praxis orientieren und legitimieren (Apologetik), verfügen über eine Macht, die nicht vor einem Umschlagen in Gewalt gefeit ist. Das Nachdenken über das theologische Verhältnis von Geschöpf, Mensch und Person schliesst deshalb die theologische Selbstaufklärung über ihre Gewaltpotentiale und -verhältnisse notwendig mit ein.
Während die Begriffe «Mensch» und «Person» im Alltag häufig synonym begegnen, werden sie in den Fachsprachen präzise unterschieden. Das Recht spricht zwar von «Menschen», etwa den Menschenrechten, meint aber «Personen» als Subjekte und Trägerinnen von Abwehr-, Anspruchsrechten und Pflichten. Die Biologie hat es mit dem «Menschen» als Spezies Homo sapiens der Gattung Homo (Menschenaffen) zu tun und interessiert sich nicht für «Personen». Die Humanmedizin trägt zwar den Menschen im Titel, behandelt ihre Patient:innen aber nicht als «Menschen», sondern als autonome «Personen». In der Soziologie geht es um gemeinschaftliche und gesellschaftliche Konstellationen und Verhältnisse zwischen Mitgliedern, die nicht als «Menschen», sondern als «Personen» thematisiert werden. Kirche und Theologie betrachten die «Menschen» als Geschöpfe im Verhältnis zu ihrem Schöpfer, aber wenden sich in Verkündigung und Praxis an «Personen». Die Unterscheidungen folgen grosso modo der Faustregel: Beschreibungen des Humanen haben den/die generalisierten Menschen zum Gegenstand, Normierungen des Humanen sind auf die Individualität von Personen gerichtet. Damit ist bereits gesagt, dass das Nachdenken über «Mensch» und «Person» nicht auf die Frage hinauslaufen kann, ob ein Individuum ein Mensch oder eine Person ist. Vielmehr geht es um das Verhältnis unterschiedlicher Sichtweisen auf Individuen, die aus bestimmten Perspektiven als generalisierte Menschen, aus anderen Perspektiven als individuelle Personen und nochmals anderen Perspektiven als Menschen und/oder Personen thematisiert werden. Eine grundsätzliche Schwierigkeit stellt die Rede vom Menschen-im-Singular und den Menschen-im-Plural dar. Es gibt klassifizierende Beschreibungen von dem Menschen im Singular, aber als konkrete lebensweltliche Individuen begegnen Menschen immer als Personen im Plural. Zugespitzt mit Hannah Arendt: «Gott hat den Menschen geschaffen, die Menschen sind ein menschliches, irdisches Produkt, das Produkt der menschlichen Natur.» Die Spezies homo sapiens sapiens bezeichnet eine biologische Klasse von Lebewesen, bildet den Gegenstand der Anthropologie und ist schöpfungstheologisch als Gottes Gegenüber ausgezeichnet. Dagegen stehen Personen für die normativ bestimmten, durch Einzigartigkeit bzw. Singularität aufgezeichneten Subjekte sozialer Gemeinschaften.
Die Geschichte der Menschheit beginnt mit der biblischen Schöpfung, die Karriere der «Person» dagegen erst in der Neuzeit. Personen als freie, selbstbestimmte Subjekte und Kern des modernen liberalen Menschenbildes sind den biblischen Traditionen fremd. Erst mit Hilfe zeitgebundener theologischer Hermeneutiken konnten biblische Aussagen über den Menschen, allen voran über seine Geschöpflichkeit, Gottebenbildlichkeit und universale Gleichheit, zu Impulsgeberinnen für die Entwicklung der modernen Menschenrechte und ihrem Fundament, die Menschenwürde, werden. Verbreitet ist die Überzeugung, dass dem biblischen Status der Gottebenbildlichkeit des Menschen die universale rechtliche Schutz- und Anerkennungswürdigkeit der Person entspricht. Die Menschenrechte deklarieren die untrennbare Einheit von Mensch und Person (Koextensionalität). Die Merkmale und Eigenschaften, die mit dem Klassifikationsbegriff «Mensch» und dem Status «Person» verbunden werden, sind identisch. Diese Gleichsetzung ist allerdings alles andere als trivial, wie ihre Umkehrung zeigt. Die Behauptung, dass ein Individuum kein Mensch ist, bestreitet etwas völlig anderes als die Behauptung, dass ein Individuum keine Person ist. Im ersten Fall wird die Zugehörigkeit zu einer Klasse von Lebewesen oder Objekten negiert, im zweiten Fall der Status eines Lebewesens oder Objekts. Aus ethischer Sicht geht es im ersten Fall darum, welche moralischen Pflichten gegenüber einer Entität bestehen, je nachdem, ob ihr das Menschsein zu- oder abgesprochen wird, im zweiten Fall darum, welche Anerkennung und welcher Respekt dieser Entität als Person geschuldet ist, worauf sie als Nicht-Person keinen Anspruch hat. Im ersten Fall wird die Interaktion vollständig durch bestehende moralische Pflichten Dritter bestimmt, im zweiten Fall durch den autonomen Status der 1. Person, auf die das Handeln Dritter gerichtet ist. Im ersten Fall gibt es nur ein Subjekt: die Person, die ihren moralischen Pflichten folgt. Im zweiten Fall trifft das Subjekt, das ihren moralischen Pflichten folgt, auf das Subjekt, das selbst bestimmt, ob und wie an ihm gehandelt wird. Es macht also einen erheblichen Unterschied, wie bzw. als wer ein Individuum oder eine Gruppe angesprochen werden.
Die theologische Bestimmung des Menschen als von Gott gewähltes, geschöpfliches Gegenüber unterscheidet sich von anderen Verwendungsweisen von «Mensch» darin, dass sie nicht beobachtet und empirisch beschrieben werden kann. «[D]er Mensch kann als Geschöpf eines Schöpfer-Gottes nicht festgestellt, sondern nur im Glauben an den ihn als sein Geschöpf recht-fertigenden Versöhner-Gott behauptet werden». Als Geschöpf Gottes kann ein Mensch nicht aus der 3. Person-Perspektive, also von Dritten, sondern nur aus der 1. und 2. Person-Perspektive erkannt werden. Alle aus dem Geschöpf-Status abgeleiteten Bestimmungen, Umgangsweisen und moralischen Forderungen werden aus der 1. Person-Perspektive als individuelle oder kollektive Entdeckungen oder (Selbst)Erkenntnisse und aus der 2. Person-Perspektive als Urteil über oder Zuspruch an ein «Du» oder «Ihr» (vgl. die Goldene Regel und paulinische Paranäse) erhoben. Rudolf Bultmann hat die konstitutive Personen-Gebundenheit auf die theologische Anthropologie insgesamt ausgeweitet, der es nicht um ein Verstehen gehen könne, das «den Menschen zu einem Phänomen der Welt objektiviert, sondern [um] ein existentielles Verstehen meiner selbst in eins mit meinem Verstehen von Gott und Welt». Konsequent wechselt der Theologe deshalb von der analytisch-beschreibenden 3. Person- in die selbstthematisierende 1. Person-Perspektive. Eine allgemeine Schutzwürdigkeit und universale Freiheits- und Anspruchsrechte lassen sich schöpfungstheologisch nicht begründen, weil aus dem vorausgesetzten intrinsischen Gott-Mensch-Verhältnis zwar universale Ansprüche, aber keine allgemein verbindlichen moralischen oder rechtlichen Forderungen abgeleitet werden können. Die biblische Gottebenbildlichkeit als Argument für einen jedem Menschen inhärenten moralischen Status taucht erst im Anschluss an die neuzeitliche transzendentale Idee von der Universalität der Freiheit und Würde der Person auf. Die Analogisierung von Schöpfungstheologie und Transzendentalphilosophie vollzieht sachlich die Umstellung vom Geschöpf auf die Person.
Die Rede vom Menschen zielt auf zeitüberschreitende generelle Merkmale und Eigenschaften – aufrechter Gang, Rationalität, Selbstreflexivität, Sozialität, Normativität etc. –, die in der Vergangenheit galten, in der Gegenwart zutreffen und in der Zukunft bestehen bleiben. An ihnen wurden Menschen in der Vergangenheit und werden in der Gegenwart erkannt und werden in der Zukunft erkannt werden. Als beobachtbare/r «er» und «sie» war, ist und bleibt der Mensch «objektiv» der gleiche. Die Sichtweisen auf «den» Menschen können sich ändern, nicht aber die Referenzklasse, auf die sie bezogen sind. Die Rede von der Person meint dagegen ein konkretes Individuum oder eine konkrete Gruppe von Individuen in der Gegenwart oder mit einem Gegenwartsbezug auf eine Vergangenheit oder Zukunft. Ein Mensch unterscheidet sich von seinen Mitmenschen nicht als Mensch, sondern als Person. Menschen erleben sich nicht als Menschen, sondern immer als Personen. Selbsterleben besteht wesentlich in der Wahrnehmung von Differenz, die nicht im Blick auf andere Lebewesen (Fledermäuse, Regenwürmer, Bäume etc.), sondern nur relativ zu anderen Personen möglich ist. Das Selbsterleben als Mensch ist die unhintergehbare Bedingung menschlicher Erfahrung und kann deshalb nicht selbst Gegenstand von Erfahrung sein. Das Erleben als Person wird dagegen konstituiert durch die Begegnung mit anderen Personen. Sozialität realisiert sich in Wahrnehmungen und Erfahrungen von Differenz zwischen «Ich» und Nicht-«Ich».
Obwohl die Begriffe «Mensch» und «Person» nahe beieinanderliegen und aufs Engste zusammengehören, sind die Übergänge zwischen ihnen komplex und unscharf. Grob lassen sich drei sortale und zwei statusspezifische Verhältnisbestimmungen unterscheiden: 1. Die Menge der Menschen und Personen ist identisch, weil jeder Mensch zugleich Person und jede Person ein Mensch ist. Fallen Mensch und Person zusammen, büsst der Personenbegriff seine normative oder evaluative Funktion ein, weil die Zugehörigkeit zur biologischen Spezies keine moralische Zuschreibung begründen kann. 2. Die Menge der Menschen ist kleiner als die Gruppe der Personen. Die Bestimmung beruht auf Merkmalen und Eigenschaften von Personalität, über die neben Menschen auch andere Lebewesen verfügen können. 3. Die Menge der Personen ist kleiner als die Gruppe der Menschen, weil nicht jeder Mensch ipso facto auch als Person gilt. Die Bestimmung setzt Kriterien (person-making characteristics) voraus, nach denen Menschen ein Personenstatus zu- und abgesprochen werden kann. Das Paradox besteht darin, dass Menschen für sich selbst einen Personenstatus beanspruchen müssen, um anderen Menschen ihren Personenstatus zu- oder aberkennen zu können. 4. Die Merkmale und Eigenschaften von Personen bilden das normative Fundament für den Umgang mit den Menschen. Das ist die Perspektive der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der anschliessenden Menschenrechtsdeklarationen. 5. Die Merkmale und Eigenschaften des Menschen bilden den normativen Rahmen für den Umgang mit Personen. Die Perspektive spiegelt sich exemplarisch in den oben genannten Kontroversen über die sexuelle und geschlechtliche Orientierung wider.
In der bisher dargestellten Konfrontation von Menschen und Personen geht es um Einstufungsurteile im Blick auf einen gleichen oder ungleichen Umgang mit Personen, abhängig davon, ob sie den person-making characteristics entsprechen oder mit einem vorausgesetzten Menschenbild übereinstimmen – oder nicht. Zur Diskussion stehen nicht die ontologisch-anthropologische Frage «Was ist der Mensch?» und die ontologische Frage, was eine Person ausmacht, sondern die politische und rechtsethische Frage, wer eine Person ist, bzw. als Person zählt. Wenn der Personenstatus von bestimmten Eigenschaften und Merkmalen abhängt, über die Menschen entweder verfügen oder nicht verfügen, dann hat er eine explizit diskriminierende Funktion («diskriminieren» im ursprünglichen forensischen Sinn von «trennen», «absondern», «abgrenzen», «unterscheiden»). Diese steht etwa im Zentrum der in den 1980er Jahren von Peter Singer angestossenen Euthanasiediskussion und den anschliessenden Debatten über den Status von Embryonen. Unabhängig von den dort verwendeten Begriffen gingen die Kontroversen im Kern darum, ob die grundlegenden Schutz- und Anerkennungsansprüche von menschlichen Lebewesen bereits mit ihrer Spezieszugehörigkeit oder erst mit ihrem Personsein gegeben sind. Gegen ein kriteriologisches Verständnis von Personalität hatten kirchliche und theologische Stimmen vehement protestiert. Dabei beriefen sie sich auf die relationale Geschöpflichkeit des Menschen, aus der das Verbot folge, in das speziesistisch gedachte Gott-Mensch-Verhältnis einzugreifen. Die Beziehung kann grundsätzlich entweder physisch als Kausalitätsrelation gedacht werden, in dem (katholisch betonten) Sinn, dass Gott die Existenz des Menschen verursacht hat, oder sozial als Beziehungsrelation (reformiert: Bundesverhältnis), insofern mit jedem Zugriff auf einen Menschen in die konstitutive Gott-Mensch-Beziehung eingegriffen wird. Die Schutzwürdigkeit des Menschen wird nicht aus seiner autonomen Personalität abgeleitet, sondern aus einem konstitutiven Gottesverhältnis, das in zeitgenössischen theologischen Anthropologien das Wesen der Person ausmacht. Das schöpfungstheologisch-anthropologische Beziehungsprädikat als theologische Antwort auf das philosophische Konzept von der universalen Autonomie der Person behauptet den Primat der Was-Frage nach dem Menschen gegenüber der Wer-Frage nach der Person.
Das Verhältnis von Mensch und Person stellt sich aus kirchlicher und theologischer Sicht umso dringlicher, als die biblische Botschaft die neuzeitliche Terminologie nicht kennt. In der Theologiegeschichte und gegenwärtigen Theologie begegnen Reflexionen über die Person mehrheitlich in trinitätstheologischen und bio- und rechtsethischen Zusammenhängen. Das hat zwei Konsequenzen: (1.) Der Personenbegriff taucht selten oder gar nicht im Diskurskontext der zentralen systematisch-theologischen Topoi auf, sodass (2.) eine thematische Konfrontation von Mensch und Person – wenn überhaupt – nur am Rand stattfindet. Beispielhaft dafür stehen Emil Brunners «Der Mensch im Widerspruch» von 1937, in der die bereits im Titel genannte Fundamentalambivalenz in einem knappen Kapitel an der Person expliziert wird, die im deutschsprachigen Raum bis heute umfangreichste «Anthropologie in theologischer Perspektive» von Wolfhart Pannenberg von 1983, in der der Personenbegriff nur wenig – vor allem historisch darstellenden – Raum einnimmt. Das gilt auch für die grosse Studie von David H. Kelsey «Eccentric Existence. A Theological Anthropology» von 2009, in der der Autor ausführlich begründet, warum die modernen Personen- und Identitätsbegriffe keine Bezugsgrössen für die theologische Anthropologie darstellen können. Im achten Band des Handbuchs Systematischer Theologie «Der Mensch» von Albrecht Peters von 1979 und in Christian Links «Schöpfung. Ein theologischer Entwurf im Gegenüber von Naturwissenschaft und Ökologie» von 2012 spielt der Personenbegriff keine Rolle. Wolfgang Schoberth betont in seiner «Einführung in die theologische Anthropologie» von 2006 zwar die Notwendigkeit einer Verteidigung von Individualität, Freiheit und Person, verortet sie aber ausserhalb der Anthropologie, deren Gegenstand das Wesen resp. die Natur des Menschen sei und nicht kontingente, normativen Zuschreibungen seines Daseins. Vor diesem Hintergrund sehen sich theologische Personenkonzepte mit einem einschlägigen schöpfungstheologischen und hamartiologischen Vorbehalten konfrontiert. Rechtsethische Personenkonzepte und ontologische Entwürfe theologischer Anthropologie scheinen durch einen streng bewachten schöpfungs- und rechtfertigungstheologischen Graben getrennt.
Im Gegensatz dazu stehen (1.) die heute grosso modo geteilte Überzeugung, dass Gott den Menschen als Person erschaffen habe: «Gott setzt den Menschen als sein Gegenüber; das konstituiert den Menschen unabdingbar als Person. Hier findet der Mensch seine Bestimmung»; (2.) der historische Befund vom Einfluss der Theologie auf die Entwicklung des neuzeitlichen Personenbegriffs: «Die Relevanz der Personenkategorie zeigte sich darin, dass über sie die Verhältnisbestimmung von Gott, Welt und Mensch ontologisch wie ethisch modelliert wurde.» und (3.) die zahlenmässig überschaubaren, aber wegweisenden theologischen Beiträge zum Verhältnis von Geschöpf(lichkeit), Mensch(lichkeit) und Person (Personalität). Eine theologische Reflexion des Mensch-Person-Verhältnisses setzt eine Klärung darüber voraus, welche theoretische Arbeit die Begriffe eigentlich leisten sollen. Welche Funktion übernehmen die Begriffe «Person» und «Mensch» in welchen Diskurszusammenhängen, wo und warum begegnen sie in einem Ergänzungs- und wo und warum in einem Konkurrenzverhältnis?
Das Wesen des Menschen ist das Thema der Anthropologie, deren theologische Version in der schöpfungstheologischen Einsicht gründet, dass sich alles Seiende dem Schöpfungshandeln Gottes verdankt. Theologische Anthropologie unterscheidet sich von ihrer philosophischen Schwester durch die Qualifizierung ihres Gegenstands als Ausdruck oder Manifestation des göttlichen Schöpferwillens. Das, was ist, ist, weil Gott will, dass es ist. Theologische Anthropologie fragt nach den Strukturmerkmalen des Menschen als Menschen im Horizont der göttlichen Schöpfung, ihrer Entzweiungs-, Erhaltungs-, Versöhnungs- und Erlösungsgeschichte.
Die theologisch-anthropologische Frage nach dem Wesen des Menschen thematisiert (1.) biologisch menschliche Lebewesen neben anderen Lebewesen, (2.) schöpfungstheologisch menschliche Geschöpfe neben anderen Geschöpfen und gegenüber ihrem Schöpfer sowie (3.) christologisch-eschatologisch die Bestimmung, den Weg und das Ziel der menschlichen Geschöpfe und der Schöpfung. Sachlich geht es um die Klärung der strukturellen Relationen des menschlichen Wesens (1’) zur (natürlichen) Welt, (2’) zur Schöpfung und zum Schöpfer, (3’) zum Sinn und Ziel der Schöpfung, des Seins und des Lebens sowie (4.) um die Modellierung der Beziehung zwischen den Relationen. Anthropologische Fragen zielen auf theoretisch-abstrakter Ebene darauf, ein sinnvolles, widerspruchsfreies, nichtreduktionistisch-einheitliches, systemkohärentes und generalisiertes Konstrukt «Wesen des Menschen» zu ermitteln und zu begründen.
Die Anthropologie hat in der Gegenwart eine Aussenseiterinnenrolle, weil sie sich weder für reale Personen interessiert noch Lösungen für Probleme anbietet, die reale Personen umtreiben. Die naheliegende ethische Frage, wie als imago Dei ausgezeichnete Geschöpfe leben (sollen), gehört entweder nicht auf die anthropologische Agenda oder verursacht chaotische Sein-Sollens-Fehlschlüsse. Letztere demonstrieren die oben genannten Beispiele zur sexuellen und geschlechtlichen Orientierung, bei denen anthropologische Aussagen über das menschliche Wesen in Kriterien für die Beurteilung von realen Personen umgemünzt werden. Das Missverständnis ist ein dreifaches: (1.) Konstruktionen oder Modelle über die Wirklichkeit sind nicht die Wirklichkeit selbst und Klassifikationen sind keine ethischen Normierungen. Etwas ist, weil es ist, wie und solange es ist, was es ist, und nicht, weil es sein soll, was es ist. Etwas hat aufgehört zu sein, was es ist, wenn es nicht mehr ist, was es gewesen ist, sondern ist, was es ist, wie und solange es ist, was es ist. (2.) Die diskriminierende Verwendung anthropologischer Definitionen zur Beurteilung von Personen, ihren Orientierungen und ihrem Verhalten führt zur absurden Konsequenz, bestimmten Personen und Gruppen deshalb ihr Menschsein abzusprechen. (3.) Dem anthropologischen «Wesen des Menschen» kann lebenspraktisch weder gefolgt noch kann sich ihm widersetzt werden. Denn das anthropologische Abstraktum «Mensch» existiert nicht, hat keine Bedürfnisse und stellt keine Ansprüche oder Forderungen. Vielmehr existieren konkrete Personen, die aus anthropologischer Perspektive die Exemplare oder Manifestationen abstrakter Kategorien bilden.
Auch unter Einfluss der Schöpfungslehre Karl Barths, der seine Anthropologie streng christologisch konzipiert, begegnet der Mensch in der jüngeren evangelisch-theologischen Anthropologie nicht für sich, sondern mit einem doppelten Bezug: einerseits auf Gott den Schöpfer und andererseits auf den Mensch gewordenen Gottessohn als wahrer Mensch (Konzil von Konstantinopel) und wahres Ebenbild Gottes (2Kor 4,4; Kol 1,15). Mit Jesus Christus kommt die Person (1.) als die eine der drei Verwirklichungen (hypostasis) des einen Wesens (ousia) Gottes und (2.) als unvermischte, unveränderliche, ungetrennte und unteilbare Einheit von menschlicher und göttlicher Natur (Chalcedonense) in die Welt. Wenn die imago Dei die Personalität des Menschen Jesus Christus ausmacht, dann muss diese Konsequenz für alle Wesen gelten, denen Gott diesen Ehrentitel zugeeignet hat. «Gott setzt sich so in Beziehung zum Menschen, dass dieser seiner Auszeichnung durch Gott entsprechen kann. Diesen Sachverhalt begreift die Theologie mit dem anthropologisch gebrauchten Begriff der zur Gottebenbildlichkeit bestimmten (also nicht unmittelbar mit dieser identischen) Person. Geschöpfliches Gegenüber Gottes zu sein, das dazu bestimmt ist, dessen Anspruch zu entsprechen, konstituiert den Menschen als Person. Als Person ist er ontologisch gleichermassen im Horizont der Schöpfung und i[n] Bezug auf den Schöpfer lokalisiert. […] Wie er sich daher durch sein Menschsein definitiv von Gott unterscheidet, so unterscheidet er sich durch sein Personsein definitiv von allen anderen Geschöpfen, die mit ihm unter den Bedingungen vo[n] Raum und Zeit existieren» In Analogie zur ersten Person der Trinität, ist der Mensch die Person, die von Gott als «Du» angesprochen wird, die als «Ich» antwortet und selbst wiederum Gott als «Du» anspricht. Die Schöpfung nimmt die Menschen in den trinitarischen Kommunikationsraums hinein.
Die kommunikative Konstitution reagiert auch auf die oben erwähnte Schwierigkeit, dass Schöpfung und Geschöpflichkeit nicht empirisch beobachtet und beschrieben werden können. «Da jedoch weder Geschöpflichkeit noch Gottebenbildlichkeit faktisch ausweisbare Merkmale des menschlichen Daseins in Raum und Zeit sind, muss das Personsein des Menschen im Ereignis des den Menschen anredenden Wortes Gottes begründet sein.» Dalferth und Jüngel sprechen ausdrücklich von einer «spezifischen Erfahrung» und betonen damit die Perspektive des christlichen Glaubens: «Indem christlicher Glaube auf dem Personsein des Menschen insistiert, mit dessen Nachweis Menschen prinzipiell überfordert sind, wahrt er die Würde des ganzen Menschen gegenüber seiner Reduktion auf partielle Aspekte, Rollen und Funktionen. Der ganze Mensch aber ist nicht nur mehr, als er über sich selbst in Erfahrung zu bringen vermag, sondern auch mehr als die Summe dessen, was er als Selbstverhältnis ist, in seinem Weltverhältnis aus sich macht und machen lässt und in seinem Gottesverhältnis von sich zur Geltung bringt.» Der theologische Personenbegriff rückt die Frage nach der menschlichen Würde in einen spezifischen Glaubenszusammenhang. Die «Würde des ganzen Menschen», die sein Personsein ausmacht, erschliesst sich im Glauben, der darüber hinausgeht, was Menschen aus sich heraus erkennen, anstreben und erreichen können. Was folgt aus diesem exzentrischen Würdeverständnis für die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Menschenbild und Anerkennung der Freiheit und Selbstbestimmung der Person? Stützt der theologische Personenbegriff die Anliegen und Ansprüche, die mit der Person als freies Rechtssubjekt gesetzt werden?
Zunächst bleibt unklar, ob es um ein Personsein aus Glauben geht oder um ein allgemeinmenschliches Personsein, das sich nur im Glauben erschliesst, denn die inhaltlichen Bestimmungen des Personseins bringen den Glauben zum Ausdruck, der als Erkenntnisbedingung vorausgesetzt wird. Dalferths und Jüngels Antwort lautet: «Person ist der Mensch, insofern er als Individuum und Gattung von Gott angesprochen und als sein geschöpfliches Gegenüber zur Gemeinschaft mit ihm berufen ist.» Erklärungsbedürftig ist die metaphorische Rede von der Kommunikationspartnerin «Gattung». Ein biologisches Genus ist kein kollektives «Ich» und «Du», kann nicht kommunizieren und nicht glauben. Die seltsame Formulierung richtet sich gegen Immanuel Kants «Selbstzweckhaftigkeit» der menschlichen Würde, der ein Subjekt voraussetzen müsse, das es (noch) nicht gäbe. Bei der menschlichen Würde gehe es nicht um die eigene, sondern mit Martin Luther um eine «fremde Würde». «Denn die Achtung, die diese Würde abnötigt, gilt dann nicht dem einzelnen Menschen als solchem, sondern der Menschheit, die jeder einzelne Mensch repräsentiert. Diese aber ist etwas Sekundäres, da sie erst daraus resultiert, dass der Mensch als einziges unter allen Geschöpfen von Gott angeredet und als sein geschöpfliches Gegenüber in seine Gemeinschaft berufen ist. Seine Würde gründet deshalb nicht in seinem Menschsein, sondern in seinem Personsein. Des Menschen höchste Würde ist es, von Gott angeredet und seiner Gemeinschaft würdig befunden zu sein. Die Achtung, die ihm gebührt, gilt ihm daher als der konkreten, von Gott angeredeten und zusammen mit allen anderen Menschen in eine Geschichte mit Gott berufenen Person. Sie gilt ihm dann aber auch unabhängig davon, wie angemessen er die den Menschen im Horizont der Geschöpfe auszeichnende Selbstzwecklichkeit repräsentiert oder nicht repräsentiert.» Kant unterscheide nicht konsequent genug zwischen der «Person» und dem «Subjekt einer moralisch praktischen Vernunft». Er bleibe im «Horizont der Geschöpflichkeit des Menschen» stecken und übersehe seine «Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit», weil der Mensch «ein solches Subjekt immer erst werden muss, Person aber immer schon ist».
Es wäre unfair, eine Theorie für etwas zu kritisieren, wofür sie nicht gemacht ist. Ein theologisch-anthropologisches Konzept der menschlichen Person und ihrer Würde muss nicht die rechtliche und ethische Frage beantworten, wie die Würde gegen die Wirklichkeit ihrer permanenten Verletzung geschützt werden kann. Der Einspruch gegen die falsche Adressierung der Frage hat eine doppelte Pointe: (1.) Theologische Anthropologie stellt Fundamente für die ethische Reflexion bereit, aber beantwortet keine ethischen Fragen. (2.) Theologische Ethik reflektiert die Einsichten der theologischen Anthropologie im Blick auf ihre Orientierungsleistungen für eine gelingende menschliche Praxis. Was wie ein Ableitungsverhältnis aussieht, begegnet in der Praxis häufig als komplexe und handfeste Theorie-Praxis-Konflikte. Die Grundspannung begegnet bereits auf der ersten Seite von Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, die mit einer dreifachen Bekenntnisadressierung einsetzt: «Aber eben indem sich die Kirche zu Gott bekennt, bekennt sie sich auch zu der Menschlichkeit und zu der Verantwortlichkeit ihres Handelns.» Daraus folgt für den Theologen, dass Kirche «für ihr Reden Gott Rechenschaft schuldig ist». Dass Kirche auch für das von ihr verantwortete Handeln gegenüber der «Menschlichkeit» der Menschen rechenschaftspflichtig ist, sagt Barth nicht, obwohl es seiner Ausgangsbehauptung sachlich und logisch entsprechen würde.
Den Einwand gegen Barth würde die theologische Standardkritik umgehend als Kategorienfehler zurückweisen: Das Subjekt der Kirche – Gott und seine Menschlichkeit in Jesus Christus – würde fälschlicherweise mit den menschlichen Subjekten identifiziert oder gleichsetzt. Der Einwand trifft in doppelter Weise ins Schwarze, aber richtet sich gegen die theologische Kritik selbst: (1.) Die Rede von der Menschlichkeit Gottes in Jesus Christus – Anselms Gretchenfrage «Cur deus homo», warum Gott Mensch wurde – würde jeden Sinn verspielen und inhaltsfreie Rhetorik produzieren, wenn sie nicht mit der Menschlichkeit identifiziert wird, die jede Person als Mensch ausmacht. Etwas oder jemand kann nicht anders und singulär Mensch sein, sondern nur Mensch oder Nichtmensch – das gilt sogar für den Mensch gewordenen Gottessohn. Dass er theologisch-anthropologisch anders qualifiziert wird als alle übrigen Menschen, darf für die Tatsache seines Menschseins keine Rolle spielen, weil er sonst eben doch kein Mensch gewesen wäre. Zweifellos war er – wie die biblischen Zeugnisse berichten – ein seltsamer Zeitgenosse, dessen Reden und Taten Verwunderung und Misstrauen erregten. Aber das Erstaunen und die Kritik sind nur verständlich, weil er als Person wahrgenommen und erlebt wurde. Die Reaktionen wären anders ausgefallen, wenn sein Verhalten nicht das einer menschlichen Person gewesen wäre. Die Gründe für die Verwunderung und das Erstaunen über eine menschliche Person sind völlig anderer Art als die Gründe für die gleichen Reaktionen beim Anblick eines Marsbewohners oder «Flying Spaghetti Monster». Die Nivellierung der Verschiedenheit der Gründe lässt die Kritik des New Atheism gegenüber dem Christentum ins Leere laufen. Auch deshalb sollten Kirche und Theologie diese Unterschiede – im Blick auf die Person Jesus Christus – nicht selbst nivellieren.
(2.) Die theologisch-anthropologische Rede von der Person richtet sich an menschliche Subjekte (und nicht an Gott, wie ein Gebet, eine Klage oder ein Lob). Anthropologie ist methodisch-geleitete, theoretisch-generalisierende Selbstreflexion von Personen über ihr Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis sowie ihre Identität und ihren Standort (Personen denken als Menschen über das Wesen des Menschen nach). Dem Hiatus zwischen den theologischen und aussertheologischen Verwendungsweisen der Begriffe «Mensch» und «Person» entspricht die ambivalente Selbst- und Weltwahrnehmung, die Paulus der christlichen Nachfolgegemeinschaft ins Stammbuch geschrieben hat. Weil theologische Anthropologie die Menschen nicht nur dort aufsucht, wo sie sich gegenwärtig aufhalten, sondern zugleich dort loziert, wohin sie ursprünglich und nach dem Willen Gottes hingehören, haben der Hiatus, die Ambiguität und Ambivalenz und die Liminalität menschlicher Existenz programmatischen Charakter. Die Spannung lässt sich nicht durch pragmatische Weltversöhnung oder utopische Weltverweigerung auflösen. «Es gehört zu den anthropologisch unbestreitbaren Einsichten der Theologie, dass der Mensch sich selbst – im Bösen wie im Guten! – entzogen ist. Der ganze Mensch ist als solcher nur erfahrbar, wo die Ganzheit des Menschen schon transzendiert ist. Das heisst, dass der Mensch nicht von innen heraus, nicht von sich heraus, sondern nur von ausserhalb seiner zum ganzen Menschen wird. Zur Wahrheit des ‹totus homo›, des ganzen Menschen, gehört die Struktur des ‹nos extra nos esse›, des Ausserhalb-unser-selbst-Seins.» Die theologische Rede vom «extra nos», von der Wirklichkeit der Person ausserhalb ihrer selbst, setzt aber – wie Dietrich Bonhoeffer eingeschärft hat – die unhintergehbare Verortung der Person in der Welt voraus. Die theologische Anthropologie mag das Selbstentzogensein der Person und die Begrenztheit menschlichen Wissens klarer erkennen, aber sie verfügt über keine Mittel und Wege, diese Mängel zu kompensieren oder zu überwinden.
Weil die theologische Anthropologie mit dem «Vorurteil» Gott arbeitet, benötigen ihre Aussagen, um allgemein gültig und allgemein verständlich zu sein, eine Umformulierung, bei der jede theologische Aussage «von einem Satz des Evangeliums zu einem Satz des Gesetzes, von einem eindeutig wohltuenden Satz zu einem in sich ambivalenten Satz» mutiert. In rechtfertigungstheologischer Terminologie markiert Jüngel die Spannung zwischen dem Sein des neuen Menschen (als Gegenstand der theologischen Anthropologie) und der empirischen menschlichen Lebenswirklichkeit. Der Kontrast zwischen wohltuendem Zuspruch und ambivalenter Verpflichtung bildet gewissermassen die Negativfolie zum anfangs erwähnten Streit um die sexuelle und geschlechtliche Orientierung. Bezeichnenderweise kreuzen sich dabei die Zuschreibungen, weil dort das moralische Verbot auf die Seite des Evangeliums wechselt und das Wohltuende – zumindest in einem psychologisch-phänomenologischen Sinn – auf die Seite des Gesetzes der selbstbestimmten Person. Wenn Jüngel abschliessend die «spezifische Aufgabe jeder theologischen Anthropologie» als «Bestreitung der Göttlichkeit des Menschen» bestimmt, dann gilt das auch für die Autoritätsansprüche moralischer Urteile, in die höchstpersönlichen Angelegenheiten von Personen einzugreifen. Grundsätzlich ist der Übergang zwischen der anthropologischen Ebene des Evangeliums der ethischen Ebene des Gesetzes in beide Richtungen prekär, der auf fragwürdigen Annahmen beruht.
Eberhard Jüngel hat kritisch resümiert, dass die Bemerkung von Thomas von Aquin, dass wir von Gott nicht wissen können, was er ist, sondern höchsten, was er nicht ist, heute auch für den «ganzen Menschen» gälte. Dabei habe die Anthropologie aus der Not die zweifelhafte Tugend gemacht, bei der «die Unmöglichkeit einer abschliessenden Bestimmung des Menschen durch die Bestimmung des Menschen als radikaler Fraglichkeit ersetzt wird». Michael Welker hat diese Fraglichkeit der modernen Person genauer analysiert und greift zur Illustration auf die (umstrittene) Etymologie der «Person» (griech. prosopon = Gesicht; lat. persona = Maske des/r Schauspielers/in) zurück. Die moderne Person konstituiere sich – vor und hinter der Maske – in der Vermittlung von der Einzigartigkeit des Individuums und der Egalität als Repräsentantin der Gattung. Sie bilde die Vermittlung zwischen der für andere Personen verborgenen, selbstbezüglichen ipse-Seite hinter der Maske und der für andere Personen sichtbaren, identischen idem-Seite vor der Maske. «Die individuelle Person ist die Verbindung zwischen der intimen Selbstbezogenheit der Person, der äusseren Selbstdarstellung der Person und den Wechselbeziehungen der Umgebung einer Person zu ihrer Selbstbezogenheit und Selbstdarstellung (dem öffentlichen Selbst). Oder, um mit dem vormodernen Bild zu operieren: Das Individuum unterscheidet und setzt die Vorgänge ‹vor der Maske› und ‹hinter der Maske› in Beziehung.» Die moderne Person müsse vor allem hinter der Maske gesucht werden, die bei der Konstruktion ihrer Persönlichkeit durch die Koordination komplexer Fremd- und Selbsterwartungen, Fremd- und Selbstbilder in der Vermittlung zwischen den Seiten vor und hinter der Maske völlig auf sich gestellt sei. Damit verbunden sei die zunehmende Distanzierung einerseits von der körperlich, sinnlichen und andererseits kulturell und sozial bedingten Person. Die idealistische Idee der autonomen Person habe eine enorme Integrationsleistung erbracht, sei aber an ihren Idealen gescheitert. «Der autonome Mensch der Moderne steht vor dem Problem, wie zwischen der Subjektivität hinter der Maske und der öffentlichen Person vor der Maske vermittelt werden kann. Ihre Antwort lautet: indem sie gegen den sinnlichen Zustand der Person kämpft und die moralische Kommunikation gestaltet. Diese Antwort hat ihre Überzeugungskraft verloren.»
Im Blick auf die Person besteht eine erstaunliche Diskrepanz zwischen der Tatsache, dass sich Menschen im Alltag völlig problemlos als Personen wahrnehmen und begegnen, und dem theoretischen Befund, dass die Bedingungen von Personalität (die Eigenschaften und Fähigkeiten, die ein Lebewesen zur Person machen) und der Einheit und Persistenz der Person (dass ein Lebewesen zu einem Zeitpunkt und zu unterschiedlichen Zeitpunkten die gleiche Person ist), diffus und umstritten sind. Wie klar oder problematisch der Personenbegriff wahrgenommen wird, hängt wesentlich davon ab, was er leisten soll, also welche Fragen und Probleme mit seiner Hilfe beantwortet bzw. gelöst werden sollen. Die Erwartungen an den Personenbegriff entscheiden auch darüber, ob die Komplexität als strapaziöse Überforderung oder als beeindruckender Reichtum angesehen werden. Welkers Maske kann – wie seine Darstellung nahelegt – als Hürde erscheinen, über die eine Person in ständiger Sorge um die eigene Einheit/Identität permanent hin- und herspringen muss. Sie kann aber auch – gemäss der am Anfang formulierten Problemstellung – viel bescheidener als Schutzschild verstanden werden, der ein autoritäres, übergriffiges, aneignendes oder instrumentalisierendes Eindringen von aussen auf das Innere/die Integrität der Person abwehren soll. In dem Fall kann die Maske nicht aus einem möglichst harten, undurchlässigen Material bestehen, weil damit die Person zur fensterlosen Monade würde. Vielmehr wäre sie eine poröse Membran, die das innere Heraustreten und äussere Eindringen steuert. Diese Funktion ist nicht auf die mentalen und kognitiven Aspekte der Person beschränkt, sondern betrifft die umfassende körperliche und leibliche Integrität der Person.
Was die Integrität und Identität der Person ausmacht, bleibt in dem Sinn offen, als sie sich wesentlich hinter der Maske konstituieren. Damit ist nicht gesagt, dass sie unabhängig von den Ereignissen und Einflüssen vor und durch die Maske zustande kommen. Aber sie können nicht von aussen nach innen beobachtet, sondern müssen von innen nach aussen mitgeteilt werden. Eine personale Identität zu haben und als eine Person identifiziert zu werden, sind verschiedene, wenn auch nicht unverbundene Aspekte von Personalität. Sie sind nicht abhängig in der Weise, dass das eine ohne das andere nicht möglich wäre. Was sie zusammenhält und wesentlich die Person ausmacht, ist nicht ein bestimmtes geteiltes Wissen oder spezielle Informationen über jemanden oder etwas, sondern die kommunikative Tatsache, dass eine Person «Ich» sagen und von «sich» erzählen kann, und dass sie von einer anderen Person als «Du» angesprochen, gehört und befragt werden kann. «So ist [...] die Analogie zwischen Gott und Mensch sehr schlicht die Existenz im Gegenüber von Ich und Du. Sie ist zuerst für Gott konstitutiv; sie ist es dann auch für den von Gott geschaffenen Menschen. Man denke sie weg, so hat man sowohl das Göttliche aus Gott als auch das Menschliche aus dem Menschen weggedacht.» Beim Personenbegriff handelt es sich «um einen Ankerbegriff, nicht um einen beschreibenden Begriff, der semantisch hinreichend definiert werden kann. Personen sind konkret existierende Menschen, die zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort in ihrer Ich-Perspektive leben und sich ihrer selbst als etwas bewusst sind. […] Das Personsein ist also kein Attribut des Menschen. Es ist keine genauere Bestimmung ihres Menschseins, sondern ein Hinweis auf die einzigartige Art und Weise ihres Daseins. […] Das Personsein ist nicht ein Merkmal des Menschseins, sondern des Daseins als Mensch.» Soll ein kruder und missverständlicher schöpfungstheologischer Naturalismus bzw. Biologismus und Substantialismus vermieden werden, kann an Dalferths Explikation von Dasein angeschlossen werden: Der Mensch existiert (im Sinn von Dasein) als von Gott geschaffene Person. Die Person ist durch die Anrede (den Anspruch) Gottes – ob sie es hört oder nicht – in der Welt da.
Was ist damit für das Ausgangsproblem der ethischen Begegnung zwischen «Menschen» und «Personen» gewonnen? (1.) Der Personenbegriff geht eine Inkonsequenz theologischer Anthropologie an, die sich einerseits ausdrücklich relational – im Sinn von subjektiven «Ich»-«Du»-Verhältnissen – versteht, aber andererseits mit ihren normativen Ordnungsansprüchen das «Du» in eine objektivierende «Er»- bzw. «Sie»-Position zurückdrängt. Der Personenbegriff richtet sich gegen moralische Macht- und Herrschaftskommunikation. (2.) Der Personenbegriff dekonstruiert den Kategorienfehler der normativen Aufladung des deskriptiven Klassifikationsbegriffs «Mensch» im schöpfungstheologischen Referieren auf den Menschen anstatt auf die Person. (3.) Der Personenbegriff wirft die grundsätzliche Frage auf, welche theologische Funktion der klassifikatorische Begriff «Mensch» hat und haben soll. Mit einer christologischen und eschatologischen Perspektive ist er nur schwer vereinbar. (4.) Der Personenbegriff problematisiert den schöpfungstheologischen Speziesismus und Anthropozentrismus, indem er (extensional) an die Kategorie «Mensch» anschliesst, aber (intensional) darüber hinausgeht. Damit gelingt ihm die Überwindung des fatalen hierarchischen Verständnisses der Gottebenbildlichkeit (Gott – Mensch – aussermenschliche Lebewesen). (5.) Der Personenbegriff fokussiert auf die Bedeutung des Rechtssubjekts (das Recht, Rechte zu haben) gegen eine partikulare und willkürliche Moral über den Menschen. (6.) Der Personenbegriff provoziert die schwierige Frage nach den Eigenschaften und Merkmalen von Personen. Er macht Beurteilungs- und Entscheidungszumutungen transparent und diskursiv zugänglich, die immer stattfinden, ohne dass sie mit der Kategorie «Mensch» kriteriologisch erfasst werden können.
Die Stärke des Personenbegriffs besteht in seiner definitorischen Schwäche gegenüber der normativen Distinktheit traditioneller Menschenbilder. Die moderne Krise der Anthropologie hängt wesentlich mit der historischen Einsicht zusammen, dass Definitionen des Menschen in der Regel dazu dienten, die dominierenden menschlichen Moralvorstellungen substantialistisch zu stützen und zirkulär zu legitimieren. In ihrer apologetischen Funktion stimmen Schöpfungstheologien und traditionelle theologische Anthropologien überein. Das ist kein Fehler, solange die Aufmerksamkeit für ihre Diskriminierungspotentiale wachgehalten wird. Genau diese Sensibilität muss aber im Blick auf das Klassifizierungsinteresse, das ipso facto auf Diskriminierung zielt, bezweifelt werden. Der skizzierte Personenbegriff entwirft kein System, sondern Konstellationen. «Konstellation ist nicht System. Nicht schlichtet sich, nicht geht alles auf in ihr, aber eines wirft Licht aufs andere, und die Figuren, welche die einzelnen Momente mitsammen bilden, sind bestimmtes Zeichen und lesbare Schrift.» Der Zugang oder Anspruch korrespondiert nicht nur der Ambivalenz biblischer Menschenbilder, sondern auch den Möglichkeiten von Theologie selbst.
Indem Jüngel die Analogie von Gottes- und Menschenerkenntnis in ihrer Begrenzung auf negative Bestimmungen bemängelt, bestreitet er den Bezug der schöpfungstheologischen Auszeichnung der Gottebenbildlichkeit auf das biblische Bilderverbot. Der Verfassungsrechtler Jörg Paul Müller hat am biblischen Bilderverbot den Begriff und den Gehalt der Menschenwürde expliziert: «Das Prinzip Menschenwürde bedeutet gerade nicht die Garantie eines bestimmten objektiven Menschenbildes; eine solche bedrängt den Menschen eher, als dass sie ihn in seiner inneren Würde bestätigt und freisetzt. […] Würde realisiert sich in menschlichen Akten der Anerkennung oder wird vernichtet in Erniedrigung und Demütigung. Die Menschenwürde gewinnt ihre Konturen erst in der Anerkennung, im Geltenlassen der Einmaligkeit und jeweiligen Besonderheit menschlicher Existenz, in der Lebenspraxis von Menschen, die sich gegenseitig in ihrer Würde und somit in ihrer Gleichwertigkeit respektieren. […] Menschenwürde entzieht sich in der Offenheit ihrer Erscheinungsformen einer abschliessenden positiven Festlegung. Ihr Gehalt erschliesst sich uns vor allem in ihrer Negation, d.h. in Akten der Verletzung, der Diskriminierung, der Schikane, der Beleidigung». Dafür steht der Konstellationsbegriff der Person. Ihm kann vorgeworfen werden, dass er dem alten Menschen als Bezugsgrösse verhaftet bliebe. Dagegen ist daran zu erinnern, dass die Moral erst mit dem Sündenfall in die Welt bekommen ist. Neue Menschen kennen keine Moral und brauchen keine Ethik.
Original mit Fussnoten und Quellenangaben:
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