Sanija Ameti und der Instagram-Skandal: Wo liegt das wahre Problem?

Ein Instagram-Post von Sanija Ameti, in dem sie auf ein Gemälde von Maria und Jesus schiesst, löste am 8. September 2024 eine Welle der Empörung aus. Politische Gegner und die Öffentlichkeit reagierten empört auf die Aktion der Zürcher Gemeinderätin, die sich daraufhin öffentlich entschuldigte und aus der GLP-Leitung zurücktrat. Doch hinter der Aufregung um verletzte religiöse Gefühle verbirgt sich ein tieferes gesellschaftliches Problem.

Ein Schuss, der nach hinten losging

Am 8. September 2024 löste Sanija Ameti, Zürcher Gemeinderätin und Mitglied der Grünliberalen Partei (GLP), mit einem Instagram-Post grosse Empörung aus. Auf den veröffentlichten Bildern war zu sehen, wie sie bei einer Schießübung auf ein Gemälde von Maria und Jesus zielte und schoss. Der öffentliche Aufschrei war heftig, und sowohl politische Gegner als auch die breite Öffentlichkeit reagierten heftig. Ameti entfernte die Bilder rasch und entschuldigte sich öffentlich. Sie erklärte, dass die Wahl des Motivs zufällig gewesen sei und sie den religiösen Kontext nicht beachtet habe. Ihr Verhalten bezeichnete sie als unüberlegt und drückte ihr Bedauern aus, falls Menschen durch ihre Handlung verletzt worden seien, was sie in keiner Weise beabsichtigt habe.

Religiöse Gefühle und politische Instrumentalisierung

Der Vorfall führte zu massiver Kritik, auch von ihrer eigenen Partei. Infolgedessen trat Ameti aus der Leitung der Zürcher GLP zurück. Die Partei distanzierte sich deutlich von ihrem Verhalten und erklärte, dass der Post nicht mit den Werten der GLP vereinbar sei, die für Toleranz und Respekt gegenüber religiösen Überzeugungen stehe. Die Junge SVP und andere politische Akteure reichten Strafanzeigen ein, unter anderem wegen Verletzung der Glaubens- und Kultusfreiheit​.

Ich glaube nicht, dass jemand die religiöse Bedeutung dieses Bildes nicht erkennen würde und schon gar nicht, dass jemand Kopfschüsse auf eine bildliche Darstellung von Jesus und Maria dann noch rein zufällig in den Sozialen Medien teilt.

Und ich habe keine Lust, in den Chor der Empörten einzustimmen. Das wäre auch völlig unnötig, weil sämtliche Parteien, Religionsexperten und Kommunikationsexpertinnen diesen Post schon verurteilt haben, während die Verfasserin sich mit ihrer Entschuldigung im Konjunktiv gleich selbst disqualifiziert hat.

Das eigentliche Problem: Keine religiöse Auseinandersetzung

Allerdings ergeben sich aus dieser Aktion mehrere bemerkenswerte Beobachtungen:

  • Christoph Mörgeli bezeichnet Ameti in der Weltwoche als eine «aus Bosnien stammende Muslima» und bringt ihren Post in direkte Verbindung mit verschiedenen islamistischen Morden und Mordversuchen in der Schweiz, Deutschland und dem übrigen Europa.

  • Das antiislamische Ressentiment wird in den Kommentarspalten fleissig gefüttert: Das soll sie sich mal in einem islamischen Land mit dem Koran trauen, dann wird zurückgeschossen.

  • Das Problem wird personalisiert und emotionalisiert: Ameti hat Gefühle religiöser Menschen verletzt.

    Es handelt sich aber nicht um einen religiösen Konflikt, in dem eine Muslima die christliche Mehrheitsgesellschaft verspottet. Sanija Ameti ist als dreijähriges Kind in die Schweiz geflüchtet, hat in Zürich die Kantonsschule und danach ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert. Sie promoviert an der Universität Bern, engagiert sich in der Aktion Libero für ein stabiles Verhältnis der Schweiz zur EU und kämpft politisch für Freiheitsrechte im digitalen Raum. (Auch für ein Verbot der öffentlichen Gesichtserkennung, aber daran hat es nicht gelegen.)

    Ameti passt nicht ins Schema der desintegrierten Verliererin mit muslimischem Hintergrund.

    Aber just dies ist das Standartrepertoire für den politischen Umgang oder die politische Instrumentalisierung solcher Vorfälle.

    Westliche Reaktionen und Phantomschmerz

    Als manche ihre religiösen Gefühle durch die Eröffnungsshow der Olympischen Spiele in Paris verletzt sahen, lag manchen der Vergleich zwischen der christlich liberalen und der islamisch strafenden Kultur nahe: Niemand hätte sich das mit Mohammed getraut! Schon damals war es falsch. Wir behaupten im Westen standhaft ein Recht darauf, Minderheiten zu beleidigen und ihre Empörung paternalistisch als Mangel an Aufklärung und Bildung abzutun. Wir können Mohammed-Karikaturen scheusslich finden aber noch scheusslicher finden wir jene, die sie verbieten wollen.

    Was in diesem westlichen Repertoire an intellektuellen Zugängen bleibt, um eine solche Aktion zu verurteilen, ist einzig der Gestus persönlicher Betroffenheit. Wir empören uns, weil wir verletzt worden sind, klagen an, weil es uns wehtut. In Wirklichkeit haben die meisten aber längst den eigenen Zugang zu christlich-religiösen Traditionen verloren und spüren angesichts solcher Vorfälle bestenfalls noch einen Phantomschmerz.

    Unüberlegt, aber nicht einsam

    Man kann Ameti nicht verteidigen. Die Aktion war schwachsinnig. Aber es handelt sich nicht nur um eine Kurzschlussreaktion, die aus heiterem Himmel fällt: Sie hat in einer Kultur, in der Religion ohne weiteres als dumm und rückständig, christlicher Glaube mit schlechter Wissenschaft identifiziert wird und Theologie als unwissenschaftliches Relikt reformbedürftiger Universitäten gilt, den Bogen überspannt. Damit fördert sie eine Kultur der Ausgrenzung des Religiösen. Aber diese Kultur ist uns nicht fremd, im Gegenteil. Und diese Aktion ist keinesfalls islamisch, sondern in westlichem Sinn religionsignorant. Schleiermacher hatte befürchtet, dass die Wissenschaft mit dem Unglauben und die Religion mit der Barbarei enden könnte. Wir erleben heute, dass wir für beides weder Religion noch Wissenschaft brauchen. Es ist unsere Kultur, die beides vereint. Der Weg, diese Spannung zu lösen, führt sicher nicht über ein besonders respektvolles oder ängstliches Verhältnis gegenüber religiösen Gefühlen, sondern über eine echte Auseinandersetzung mit den Wurzeln, die uns halten und einer aufrichtigen Religionskritik, die ihren Gegenstand wieder ernst nimmt.

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    Stephan Jütte

    Dr. theol.

    Leiter Theologie und Ethik
    Mitglied der Geschäftsleitung

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    Eine Antwort

    1. Danke. Das wahre Problem treffend auf den Punkt gebracht. Statt über Ameti den Stab zu brechen, sollte sich die GLP mal eine wirklich ernsthaft kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Religion verordnen. Das täte ihnen allen gut.

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