Tausendfach erklingen wiederum in den Weihnachtsgottesdiensten die berühmten Engelsworte:
Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede auf Erden
den Menschen des Wohlgefallens.
Lukasevangelium 2,14
Allerdings sind verschiedene Wortlaute des Hymnus überliefert und in Gebrauch. Es ist gar nicht so eindeutig, welche Engelsworte die ursprünglichen und wie sie zu verstehen sind. Wer hat an wem oder wer gewährt wem ein Wohlgefallen?
Das mit «Wohlgefallen» übersetzte griechische Wort heisst eudokia. Die einschlägigen Wörterbücher[1] nennen folgende Bedeutungsvarianten: guter Wille, Huld, Wohlgefallen, good will, consentment. Für das zugrunde liegende Verb eudokeō führen sie unter anderem an: für gut halten, wollen, Wohlgefallen haben an, billigen, mögen bzw. to be well pleased, to be content with, find pleasure in a person or thing, consent, approve.
Martin Luther übersetzte «… und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen». Diese Version ist uns auch aus Kirchenliedern bekannt (etwa RG 224). Sie beruht allerdings auf einer Textvariante, die eudokia im Nominativ liest und heute als überholt gilt. Seit Luthers Übersetzungsarbeit sind nämlich ältere und zuverlässigere Bibelhandschriften bekannt geworden, die eine andere Version bezeugen. Sie lauten «… en antropois eudokias», also mit eudokia im Genitiv: «Friede auf Erden den Menschen des Wohlgefallens.»
«Menschen des Wohlgefallens» lässt verschiedene, ziemlich unterschiedliche Deutungen zu:
1. Es handelt sich um das Wohlgefallen, das Gott den Menschen entgegenbringt. Nicht wenige Bibelübersetzungen deuten in diesem Sinne. Einige (so auch die Zürcher Bibel 2007) tun dies indes mit dem interpretierenden Zusatz «… seines Wohlgefallens». Diese Ergänzung mag zwar die Verständlichkeit erleichtern, doch ist festzuhalten, dass die explizite Einfügung des Pronomens «seines» eine interpretierende und einengende (siehe unten) Textänderung darstellt.
Diese Deutung wirft Fragen auf: Wer darf sich denn zu den Menschen des Wohlgefallens Gottes zählen? Hat Gott an allen Menschen Wohlgefallen oder nur an gewissen – und wenn dem so ist, an welchen? Die Problematik der doppelten Prädestination lässt grüssen.
2. Das Wohlgefallen, die eudokia geht von den Menschen aus. Da eudokia auch «guter Wille» heissen kann, ist die Variante: «Friede auf Erden den Menschen guten Willens» sprachlich durchaus denkbar. Beruhend auf der Übersetzung der Vulgata («pax in hominibus bonae volutatis») gehen einige, v.a. katholische, Übersetzungen diesen Weg. Allerdings bekommt die Friedensbotschaft so einen deutlich moralischen Einschlag.
Ich gestehe, dass mich keine dieser Deutungen wirklich überzeugt. Durchaus möchte ich zwar beim Wortlaut «Menschen des Wohlgefallens» bleiben, allerdings schiene mir ein anderes Verständnis angebrachter. Sind die Menschen des Wohlgefallens denn nicht jene, die ihrerseits ein Wohlgefallen an dem Ereignis dieser Heiligen Nacht finden, also an der Menschwerdung Gottes?
Sprachlich bietet diese Interpretation m.E. keinerlei Probleme. Wie die Version «Menschen guten Willens» sieht sie die Menschen als Subjekt der Träger der eudokia. Allerdings wird diese nicht als generelle moralische Qualität verstanden, sondern als spezifische Zustimmung zum Christusereignis.
Dies will mir auch theologisch überzeugender erscheinen. In Jesus Christus kommt Gott nicht mit bezwingender Macht zu den Menschen, sondern schwach und verletzlich. Das Kind in der Futterkrippe ist dafür Sinnbild. Das Evangelium ist auf das Ja der Menschen angewiesen. Jesus wirbt für dieses Ja in seinen Worten und Taten, in seinem Leiden und Sterben, ja er bittet geradezu darum. Das menschliche Entsprechen auf diese Einladung nennt die Bibel Glauben.
Die Zustimmung, das Wohlgefallen von uns Menschen ist alles andere als selbstverständlich. Der Mann aus Nazaret stösst v.a. bei der religiösen und politischen Elite auf Ablehnung, und selbst seine engsten Anhänger halten nicht bis zum Ende zu ihm. Annahme und Ablehung der Guten Botschaft werden im Neuen Testament weit thematisiert. Nicht zuletzt in einigen von Jesu Gleichnissen. Der Same fällt nur teilweise auf guten Boden,[2] es gibt jene, die die Einladung zum Gastmahl ablehnen.[3]
Das Wort, der Logos, der in die Welt kommt, will aufgenommen werden: Der Johannesprolog fasst dies in die Worte: «Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf, die ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben.»[4]
Weitere Belege in dieser Richtung liessen sich unzählige aufführen. Das ganze Neue Testament arbeitet unermüdlich daran, das Wohlgefallen der Menschen am Gottessohn zu wecken. Das bevorstehende Weihnachtsfest gib uns eine weitere Gelegenheit, Gott die Ehre und Christus unser Wohlgefallen entgegenzubringen und so zum Frieden zu finden.
[1] Bauer-Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments, Liddell-Scott-Jones, Greek-English Lexicon
[2] Mt 13,1ff. par.
[3] Lk 14,15ff. par.
[4] Joh 1,11f., vgl. auch die vorhergehende Verse
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