«Sonnig, aber auch ein wenig stürmisch», beschreibt Tobias Adam am Telefon das Wetter in Bossey, einem idyllischen Ort nahe Genf, als er über seine ersten Wochen im Complementary Certificate (CC) in Ecumenical Studies berichtet. Genauso gut könnte diese Beschreibung auf seine ersten Studienerfahrungen zutreffen. Denn Adam ist einer von 32 Studierenden, die von September 2024 bis Januar 2025 ein Spezialsemester am Ökumenischen Seminar auf Schloss Bossey absolvieren. «Neulich haben wir zusammengezählt. Wir kommen aus 27 unterschiedlichen Kirchen und 24 Ländern», staunt er selbst. Nicht nur studiert die Gruppe zusammen, sondern teilt auch ihren Alltag, denn die Studierenden leben in Bossey. Adam atmet kurz durch: «Es ist ziemlich intensiv.»
So ging die Eröffnungswoche gleich mit einem Sturm an Informationen los. Ein Antirassismustraining fand ebenso Platz wie Instruktionen zu Essenzeiten und korrektem Putzen. «Wir wohnen nicht im Schloss, sondern 300 Meter entfernt in einem ehemaligen Weingut namens Petit Bossey. Es hat viel Charm, ist aber auch ringhörig», lacht er. In seinem kleinen gemütlichen Zimmer hat er sich inzwischen eingerichtet. Wenn es morgens schnell gehen muss, nimmt er das Velo.
Viermal pro Woche beginnt der Tag mit einem Morgengebet, das die Studierenden selbst gestalten. Interkonfessionell und über kulturelle Unterschiede hinweg. Adam erlebt immer wieder, wie er mit den anderen durch Details ins Gespräch über grössere Zusammenhänge kommt: «Schon allein wie jemand den Altar schmückt, ist bedeutsam. Eine Kerze oder zwei, welches Tuch usw. Dahinter steht eine theologische Überzeugung.» Und beim Zmorge geht der Austausch weiter: Warum isst der eine dies nicht oder die andere jenes? Wer spricht ein Tischgebet?
Diese Art des Lebens und Studierens liegt dem Zürcher, auch wenn eine offene Haltung Kraft erfordert. Seit 2019 ist er in der Ökumene engagiert, war aktiv bei Chemin Neuf, Steward bei der WGRK, beim ÖRK und Delegierter an der KEK-Vollversammlung in Tallinn 2023. Nun ist der Stipendiat der EKS in Bossey. Adam hatte bereits Kontakte zu Bossey-Alumni und nur Gutes von der Schule gehört. «Die weltweite Kirche begeistert mich sehr», sagt er zu seiner Motivation für das Semester, das ein bisschen mehr Zeitaufwand erfordert als ein normales an seiner Uni in Zürich. «Wir haben eigentlich nur einen Tag die Woche richtig frei. An den Wochenenden sind oft die Study Visits.»
Die sind ein zentrales Element des ökumenischen Kurses. Es geht um Austausch, eintauchen und wahrhaftig teilhaben. Deshalb sind die Studierenden viel unterwegs: In der Eröffnungswoche besuchten sie den ÖRK in Genf inklusive einer Stadtführung. Am Bettag feierten sie einen ökumenischen Gottesdienst in einer alten Klosterkirche. Für Adam ein Highlight: «Vor dem Gottesdienst pilgerten wir eineinhalb Stunden mit den Gemeindemitgliedern. Es war eine besondere Stimmung zwischen Schweigen und geselligen Momenten.» Danach wurden die Studierenden zum Abendessen eingeladen. Bald werden sie bei den Orthodoxen in Chambézy zu Gast sein. Auf dem Plan stehen in den kommenden Monaten auch ein buddhistischer Tempel, die Bodmer Foundation, in zwei Wochen geht’s nach Taizé (darauf freut Adam sich besonders). Am ersten Advent dürfen die Studierenden bei reformierten Gemeinden in der ganzen Schweiz zu Gast sein. Den Abschluss wird dann eine Exkursion nach Rom bilden.
Bis dahin muss sich Adam akademisch ins Zeug legen, 30 ECTS-Punkte erarbeiten (das sind umgerechnet ca. 900 Arbeitsstunden). «Wir haben viel zu tun.» Die Kurse haben viel mit der Lebenswirklichkeit der Studierenden gemein, «alles ist ausgerichtet auf unser Zusammenleben», erklärt Adam. Die Studierenden lernen mehr über die Geschichte der ökumenischen Bewegung, interkulturelles Bibelstudium, praktische ökumenische Theologie, Ecumenical Missiology, Ecumenical Social Ethics, Ecumenical Theology. Es geht darum, die Gemeinsamkeiten untereinander zu suchen.
Als westeuropäischer weisser Mann ist Adam hier in der Minderheit. «Wir sind nur zwei Europäer im Studiengang. Die Welt ist so viel diverser als das, was wir oft sehen», sagt er reflektiert. «Ich habe Kurse bei Dr. Lawrence Iwuamadi aus Nigeria und Dr. Joo Mee Hur, sie ist Pastorin der Presbyterianischen Kirche in der Republik Korea, gewählt. Ihre Arten zu unterrichten sind anders, aber bereichernd.» Gemessen an der weltweiten Christenheit sind die Europäer eben in einer Minderheitenposition. Adam lächelt: «Aber theologisch denken wir Deutschsprachigen oft noch, wir seien der Nabel der Welt.»
Ein Erlebnis hat ihn in den letzten Wochen unverhofft berührt. «Im Missionswissenschaftsseminar sollten wir in einer Stunde in einem Text unsere Position in der Gesellschaft reflektieren. Ich befürchtete, dass es einfach eine Nabelschau werden könnte, die sozialwissenschaftlich natürlich schon interessant ist, aber oberflächlich bleibt. Als ein Mitstudent seinen Text zu seinem Christsein in Pakistan vorlas, sagte er, dass er für diese Zeilen in seiner Heimat umgebracht werden würde. Das hat mich mitgenommen. Jemanden zu kennen, der vom Blasphemiegesetz in Pakistan betroffen ist, ist etwas ganz anderes als die Schlagzeile darüber einfach in der Zeitung zu lesen.» Adam wurde sich seiner privilegierten Lage in Europa umso bewusster.
So hat der Stipendiat sich in Bossey vorgenommen, Verschiedenheit zu erleben und zu reflektieren, andere Positionen zu verstehen und ins praktische Leben mitzunehmen. Er findet: «Lernen ist nicht nur kognitiv» - und erteilt damit der westlichen Vorstellung von Lernen als Wissen anhäufen eine kurze Absage. «Wir wollen hier aus Begegnungen lernen.» Es sei anstrengend sich immer wieder anderen Kontexten auszusetzen, aber auch sehr bereichernd. Adam saugt die Erfahrungen auf: «Ich will verschiedene Orte spirituell erleben.» Schon jetzt blickt er mit Elan und Zufriedenheit auf sein Studiensemester: «Es ist eine holistische Erfahrung.»
Tobias Adam, 26, stammt aus Uster ZH und ist Theologiestudent an der Uni Zürich. Er ist Mitglied der Synode Zürich und war Initiant der Schöpfungsinitiative.
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Eine Antwort
Bonjour Tobias Adam
Eben habe ich deinen Bericht gelesen und bin sehr eingenommen davon, was es alles immer wieder und noch zu entdecken gibt. Nur schon hier in der Schweiz. Selber bin ich (schon) im Rentneralter, doch die Vielfältigkeit der christlichen Denominationen, Werke, Kommunitäten etc. begeistern und bereichern mit selber immer wieder. Besonders gerade dann, wenn Leute aus der ganzen Welt zusammenkommen und miteinander unterwegs sind.
Selber bin ich in kleinerem Umfang auch auf Entdeckungsreisen unterwegs, hier in Zürich und im ganzen Land, wie auch im angrenzenden Ausland und im afrikanischen Uganda. Es erweitert mir den eigenen Horizont sehr!
Da wünsche ich dir weiterhin viel Entdeckerfreude und eine gute Portion Energie, um dieses Semester lebensprägend und -verändernd in dir wirken zu lassen
A Dieu, Liselotte