«Gemeinsam wollen wir dazu beitragen, dass Migranten und Migrantinnen, Flüchtlinge und Asylsuchende in Europa menschenwürdig aufgenommen werden.» Zu dieser «gemeinsamen Verantwortung» bekennen sich die Kirchen in Europa in der Charta Oecumenica.* Die Bibel selbst gibt zahlreiche Beispiele für das Eintreten für Menschen auf der Flucht. Ein Asylrecht begegnet bereits in den alttestamentlichen Asylstätten.
Die Kirche kennt seit dem 4. Jahrhundert ein Kirchenasyl, das sie in ihrer Geschichte zu einem differenzierten Asylrecht ausgebaut hat. Kirche ist seit jeher und aus ihrem Selbstverständnis Garantin für den Schutz von Flüchtlingen, Verfolgten und Fremden. Das Engagement für Schutzlose und Schutzsuchende ist eine ureigene Aufgabe der christlichen Kirchen seit ihren Ursprüngen.
In den Asylsuchenden begegnet den Kirchen stets auch ihre eigene Geschichte, denn die Kirche selbst war von Anfang an und immer wieder Flucht, Vertreibung, Unterdrückung und Diskriminierung ausgesetzt.
Am Beginn der jüdisch-christlichen Geschichte steht die Flucht: Gottes Volk vor dem Pharao, Jesus vor Herodes. Der Asylant Calvin findet Unterschlupf in Genf und wird als Migrant in der Fremde zu einem einflussreichen Reformator.
Reformierte Kirchen verstehen sich als wanderndes Gottesvolk, sozusagen Migrantinnen und Migranten auf dem Weg der Nachfolge. Sie sind Teil einer Kirche, deren Haupt, Jesus Christus, schon bei seiner Geburt unerwünscht war. Gegen das Misstrauen der Welt setzt Jesus auf Frieden, Versöhnung und Gastfreundschaft – nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Liebe: «Die Liebe zu denen, die euch fremd sind, aber vergesst nicht» (Hebr 13,2).
Das Evangelium, das die Kirche verkündigt, macht den Schutzlosen, Einsamen und Verfolgten dieser Welt Hoffnung. Der biblische Ausdruck für diese Hoffnung in der Welt ist die Gastfreundschaft und die Mahlgemeinschaft. Die Gastfreundschaft Gottes und seiner Kirche gilt jedem einzelnen Menschen, ungeachtet seiner Herkunft, Nationalität, Hautfarbe, Religion.
Die Gewährung von Asyl ist ein Akt der Humanität und Solidarität. Deshalb ist eine humanitäre Asylpolitik eine Pflicht von uns allen gegenüber der Menschheit als Ganzes. Die Konkurrenz politischer Überzeugungen endet dort, wo die Menschlichkeit selbst auf dem Spiel steht.
Einer Politik, die «die Menschlichkeit im Menschen» (Calvin) zur Disposition stellt, stellt sich die Kirche mit dem Aufruf des Paulus entgegen: «lasst uns, solange wir noch Gelegenheit haben, allen Menschen Gutes tun» (Gal 6,10). Die Gelegenheit dazu haben wir. Deshalb liegt es allein an uns, das Gute für alle Menschen zu tun.
Fairness bei der Asylpolitik folgt dem gleichen Anspruch wie sportliche Fairness: die Verpflichtung zu wechselseitigem Respekt, auf transparente und klare Spielregeln, auf den gleichen Anspruch auf rechtliches Gehör und Widerspruch sowie auf menschenwürdige und sachgerechte Zielsetzungen und Verfahren.
Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet die Schweiz zum Schutz von Verfolgten. Artikel 1 definiert einen Flüchtling als Person, die sich ausserhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung Furcht vor Verfolgung haben muss.
In der nationalen Gesetzgebung – dem Asylgesetz – ist die Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention konkretisiert. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist in der Schweiz hinterlegt – der schweizerischen Flüchtlingspolitik kommt also eine internationale Signalwirkung zu.
Kommen Asylsuchende in die Schweiz, treffen sie auf verschiedene Angebote der evangelischen Kirchen. Dazu gehören die Seelsorge für Asylsuchende in den Empfangs- und Verfahrenszentren sowie die massgebliche Unterstützung der Rechtsberatungsstellen.
Hinzu kommen zahlreiche regionale Projekte, beispielsweise das Zentrum für Migrationskirchen in Zürich oder von den Kirchen getragene Beratungsstellen.
Auch bei einem kontrovers diskutierten Thema – dem unabhängigen Monitoring der sogenannten Ausschaffungsflüge – hat der Kirchenbund mit seinem Pilotprojekt 2011 einen konkreten Beitrag zugunsten der Betroffenen geleistet.
Aktuell setzt sich der Kirchenbund dafür ein, dass Seelsorgedienste in den Testzentren und den Zentren für «renitente» Asylsuchende eingerichtet werden.
Die Abschaffung des Botschaftsverfahrens, also die Möglichkeit, im Ausland ein Asylgesuch einzureichen, ist der zentrale Kritikpunkt des Kirchenbundes an den Änderungen des Asylgesetzes. Die Folgen der Abschaffung sind drastisch. Es ist davon auszugehen, dass Menschen vermehrt irregulär in die Schweiz einreisen oder keinen Schutz finden.
Die irreguläre Einreise, z. B. die Überquerung des Mittelmeers, ist mit Gefahren verbunden. Besonders davon betroffen sind Frauen, Kinder, Alte und Kranke: sie müssen entweder trotzdem die gefährliche Reise antreten oder können nicht fliehen. Die Einreise mit einem Schlepper kostet zudem viel Geld: Verfolgten aus armen Verhältnissen bleibt die Flucht verwehrt.
Wie sollen in Zukunft Schutzsuchende bis in die Schweiz gelangen und hier ein Asylgesuch stellen, wenn sie aufgrund der aufwändigen Grenzüberwachungen an den Aussengrenzen von Europa den Weg gar nicht mehr bis in die Schweiz finden? Diese Frage bleibt unbeantwortet.
Die Abschaffung des Botschaftsverfahrens trifft die Schwächsten. Dies steht im Gegensatz zum Kernanliegen des Asylrechts, nämlich Verfolgte zu schützen.
Wehrdienstverweigerer und Desertierende erhalten kein Asyl mehr. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass wegen Desertion allein schon bisher niemand Asyl erhalten hat. Die Person musste verfolgt sein. Verschiedene Experten sind der Ansicht: Auch mit der Änderung des Asylgesetzes wird dies voraussichtlich so bleiben – wenn eine Verfolgung vorliegt, erhalten sie vermutlich weiterhin Asyl.
Deshalb handelt es sich um eine symbolische Verschärfung. Genau das ist aber ein Schritt in die falsche Richtung – die Schweiz soll ihre Asylpolitik so ausgestalten, dass Verfolgte Schutz finden und nicht mit symbolischen Änderungen reale, aber doch unwirksame Abschreckung betreiben.
Die Änderungen des Asylgesetzes sehen «Testphasen» für Asylverfahren vor. Dabei ist geplant, die Beschwerdefristen von Asylsuchenden gegen einen Asylentscheid von 30 auf 10 Tage zu kürzen. Dies ist bedenklich und bedingt aus Sicht des Kirchenbundes einen deutlichen Ausbau der Rechtsberatungsmöglichkeiten: Das Einreichen und das Beanspruchen der Rekursmöglichkeiten ist ein Recht, kein Missbrauch.
Unbeantwortet ist auch die zentrale Frage, aufgrund welcher Kriterien sogenannt «renitente» Asylsuchende, die sich auffallend verhalten, den geplanten Zentren für Renitente zugewiesen werden. Positiv ist hingegen die Absicht, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylsuchende in den Bundeszentren zu schaffen.
Weltweit zählte das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR per Ende 2011 42,5 Millionen gewaltsam vertriebene Menschen. Davon waren 15,2 Millionen Flüchtlinge und 26,5 Millionen solche, die innerhalb ihres Landes flohen. Der Grossteil der Flüchtlinge, rund 80 %, bleibt in ihrer Herkunftsregion.
Die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben 2012 zusammen 296 000 Asylgesuche entgegengenommen. In der Schweiz reichten 2012 28 631 Menschen ein Asylgesuch ein. Je nach Konfliktsituation unterliegen die Gesuchzahlen Schwankungen. Während der Balkankrise 1999 waren es 47 595 Gesuche, 2007 hingegen nur 10 844.
Setzt man die Anzahl Asylgesuche in Relation zur Bevölkerung, dann ist die Schweiz an zweiter Stelle hinter Schweden. Nimmt man dagegen das Pro-Kopf-Einkommen eines Landes als Massstab für seine Aufnahmekapazität, zeigt sich ein komplett anderes Bild:
Beim Verhältnis Bruttoinlandprodukt und Anzahl Asylsuchende findet sich die Schweiz auf Rang 67 wieder.
Eine faire Asylpolitik schafft gesetzliche Regelungen und Verfahren, die der Würde und Lage der betroffenen Menschen gerecht werden. Zu dieser Fairness gehört das grundsätzliche Recht auf das Stellen eines Asylgesuchs. Das Einreichen eines Asylgesuchs ist kein Missbrauch, sondern ein Recht. Damit verbunden ist der Anspruch darauf, sich bei einer Rechtsberatungsstelle beraten zu lassen und Rekurse gegen Entscheide einzulegen.
Wenn Menschen im Asylverfahren sind, befinden sie sich grundsätzlich in einer schwierigen und unsicheren Lebenssituation – unabhängig davon, ob ihr Asylgesuch später positiv oder negativ beurteilt wird. Es sind deshalb angemessene Unterbringungsmöglichkeiten anzubieten und Lebensbedingungen zu schaffen – insbesondere für Familien oder unbegleitete Minderjährige.
Ergänzend zum Asylverfahren in der Schweiz fordert der Kirchenbund seit Jahren, dass die Schweiz wieder kontinuierlich Flüchtlingsgruppen direkt aus Krisenregionen aufnimmt. Mit dieser sogenannten «Kontingentsflüchtlingspolitik» können die Verletzlichsten geschützt werden – diejenigen, die seit Jahren in Flüchtlingscamps leben, keine Perspektiven auf Rückkehr in ihr Herkunftsland haben und vom UNO-Flüchtlingswerk UNHCR bereits als Flüchtlinge anerkannt wurden.
Sprechen Sie mit Ihren Freunden und Bekannten über Flucht- und Asylfragen. Sensibilisieren Sie für Probleme und offene Fragen.
Vielleicht gibt es in Ihrer Kirchgemeinde eine Gruppe, die sich mit Fragen von Migration und Flucht beschäftigt. Beteiligen Sie sich! Und gibt es das nicht, finden Sie bestimmt Gleichgesinnte in Ihrer Gemeinde. Wenden Sie sich an die sozialdiakonischen Mitarbeitenden oder an Ihre Pfarrerin, Ihren Pfarrer.
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