Dieses Buch ist Teil der Debatte über die Zukunft der protestantischen Kirchen in Frankreich und Deutschland. Er präsentiert keine Lösung, sondern einen dogmatischen Versuch, der die Kirchen ermutigt, sich zu verändern.
Die Zukunft der evangelischen Kirchen leitet seinen ersten Teil mit einer Diskussion über die Marginalisierung der evangelischen Kirchen in Frankreich und Deutschland ein. Wie in vielen soziologischen Diskursen geht Fritz Lienhard [Professor für praktische Theologie in Heidelberg] auf die Themen Säkularisierung und Individualisierung der Gesellschaft ein.
In diesem Teil bestreitet der praktische Theologe, dass diese beiden Realitäten einen negativen Einfluss auf die Kirchen haben. Die Religion verschwindet nicht aufgrund der Säkularisierung, sondern verändert sich. Sie wird pluralistisch, ohne dass es zu einem Rückzug Gottes aus der Gesellschaft kommt.
Zweitens schlägt Lienhard eine Frage vor, die von Soziologen kaum behandelt wird. Die Rückkehr des Religiösen. Soziologisch lässt sich durchaus feststellen, dass sich die evangelischen, sogenannt traditionellen, Kirchen leeren. Allerdings ist die Religion in Deutschland, Frankreich und der Schweiz noch präsent. Sie offenbart sich in der Zunahme neuer muslimischer und evangelisch-protestantischer Gemeinden. Die religiöse Erneuerung geht jedoch nicht nur von neuen Gemeinschaften aus. Er wurde durch den Wandel der Religion hervorgerufen. Diese hat sich durch einen Gott individualisiert, der sich nun in einem selbst befindet und nicht mehr in einer Institution.
Im zweiten Teil des Buches stellt der Wandel des Religiösen die Existenzberechtigung "der Kirchen in der heutigen Gesellschaft" in Frage. Lienhard beantwortet diese Frage, indem er seinen Diskurs auf eine Theologie des Heiligen Geistes gründet. Die innere Erfahrung des Glaubens entfaltet sich durch die äußere Erfahrung des Hörens auf das Wort. Der Heilige Geist - in der inneren Erfahrung - offenbart den in den Schriften entdeckten Christus. Das Wort wird direkt von Gott an einen selbst empfangen. So haben die kirchlichen Institutionen lediglich eine Kommunikationsrolle.
Im letzten Kapitel schlägt Lienhard vor, dass die Kirchen das Evangelium nicht durch Autorität, sondern durch Senden kommunizieren sollten. Jesus als der Gesandte offenbarte seine Beziehung zu Gott und die Beziehung Gottes zur Menschheit. Aus diesem Grund sollten die Kirchen das Gleiche tun: in eine Mission eintreten, die mit Gott interagiert. Diese Interaktion ermöglicht es den Gemeinden, Zweifel zu akzeptieren und mit der einzigen Autorität, der von Jesus, voranzugehen.
Mehrere Punkte in diesem Buch haben meine Aufmerksamkeit erregt.
Die erste besteht in der Arbeitsmethode. Lienhard schlägt einen Dialog zwischen Soziologie und Theologie vor. Diese Methode ermöglicht es ihm, eine optimistische Vision der Zukunft der evangelischen Kirchen zu präsentieren. Es ist klar, dass die Kirchen soziologisch gesehen immer leerer werden. Für den Theologen ist dies jedoch nicht das Ende der (von Gott gegebenen) Kirche. Diese verändert und verinnerlicht sich als Antwort auf die heutige Gesellschaft. Diese kirchliche Perspektive ist ein frischer Wind in den üblichen pessimistischen Diskursen über die Kirchen.
Zweitens: In seiner soziologischen Forschung ist einer der Gründe für die Individualisierung die Entzauberung der Welt. Meiner Meinung nach ist dieser Punkt fragwürdig, da man heute feststellen kann, dass gemeinschaftliche Bewegungen - für Ökologie und soziale Gerechtigkeit - durch diese Desillusionierung hervorgerufen werden. In der Tat gibt es eine Individualisierung der Gesellschaft und der Religion, aber diese Individualisierung bedeutet nicht, dass das Gemeinschaftsleben nicht mehr stattfinden kann. Die Einzelnen ziehen sich zurück, um ihr Gleichgewicht zu finden und herauszufinden, was sie zur Gemeinschaft beitragen können, um solidarisch mit der Welt zu handeln.
Schließlich findet sich in seinem Essay auch eine Kritik an den evangelischen Kirchen als autoritäre Institutionen. Seine Antwort ist jedoch überraschend, da er die kirchlichen Institutionen nicht aufgeben will. Durch ihre Rolle in der Kommunikation schlägt er vor, sie neben den Gläubigen und nicht über ihnen zu platzieren. Sie begleiten die Gläubigen auf ihrem individuellen Glaubensweg. Mir scheint, dass diese kirchliche Perspektive es den Kirchen ermöglichen würde, eine weniger kontrollierende Haltung gegenüber einer Institution einzunehmen, die sich in einer Krise befindet. Durch die Begleitung von Einzelpersonen würden sie die im Laufe der Zeit aufgebauten und heute nicht mehr sinnvollen Kodex der kirchlichen Gemeinschaften loslassen. Die Gemeinschaft lässt sich durch das Hören auf den Einzelnen, bei dem der Heilige Geist gegenwärtig ist, verändern.
Dieses Buch richtet sich an alle kirchlichen Akteure. An Amtsträger und Synodenmitglieder in den deutschen und französischen evangelischen Kirchen, die sich mit der Frage nach der Zukunft der Kirche konfrontiert sehen. Sie werden dort eine neue institutionelle Perspektive entdecken.
Durch seine ekklesiologische Forschungsmethode richtet es sich auch an Soziologen, Historiker und Systematiker. Er geht das Thema empirisch an und bietet im letzten Teil einen dogmatischen Essay.
Fritz Lienhard, Die Zukunft der protestantischen Kirchen. Evolutions religieuses et communication de l'Evangile, Genf, Labor et Fides, 2022.
Emma van Dorp ist Assistentin für Systematische Theologie an der Universität Genf und promoviert über den Gemeindeglauben im reformierten Umfeld.
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