Nothilfe im Asylbereich

Das Leben der Kinder und Jugendlichen

Die Eidgenössische Migrationskommission (EKM) hat am 30.9.2024 den Bericht "Kinder und Jugendliche in der Nothilfe im Asylbereich: Systematische Untersuchung der Situation in der Schweiz" publiziert. Die Untersuchung zeigt, dass das Nothilfesystem, das eigentlich nur minimale Unterstützung bieten soll, die ohnehin schon prekäre Lage dieser Kinder und Familien weiter verschärft.   

Schwierige Kindheit

Der Bericht zeigt, dass Kinder und Jugendliche, die im Rahmen der Nothilfe im Asylbereich in der Schweiz leben, vor erheblichen Herausforderungen stehen: Sie wohnen oft in abgelegenen, kollektiven Rückkehrzentren unter äusserst engen Raumverhältnissen. Viele Kinder können nicht am normalen Alltag teilnehmen und leben abgesehen von den Menschen in der Kollektivunterkunft sozial isoliert.  Der Zugang zu Kindertagesstätten oder Spielgruppen für Kleinkinder ist nicht gewährleistet. Nach einem Wegweisungsentscheid werden sie teilweise aus der Regelschule genommen, von ihren Schulgspändli getrennt und in der Kollektivunterkunft unterrichtet, was ein weiterer, einschneidender Verlust sozialer Teilhabe bedeutet.  

Besonders jüngere Kinder leiden unter fehlender Anregung, emotionaler Sicherheit und Stressbewältigung in der Nothilfe. Jugendliche können oft keine Lehrstelle antreten oder andere berufliche Perspektiven verfolgen, was zu Hoffnungslosigkeit und Zukunftsängsten führt. 

Gewolltes Prekariat 

Betroffen sind Kinder und Jugendliche derjenigen Eltern, die trotz Wegweisungsentscheid nicht gehen wollen. Die prekären Umstände sind insofern gewollt, als der Verbleib in der Schweiz für die Eltern nicht durch bessere Lebensumstände zusätzlich attraktiv erscheinen soll. Die Behörden geben manchmal den Eltern die Schuld an der schwierigen Lage der Kinder, insbesondere wenn diese trotz Wegweisungsentscheid nicht ausreisen wollen. Dadurch erhalten die Familien oft nicht die nötige Unterstützung, um ihre Situation zu stabilisieren. 

Gefährdetes Wohlbefinden 

Die körperliche und psychische Gesundheit der Kinder in der Nothilfe ist stark beeinträchtigt, insbesondere durch die Belastungen, die auch ihre Eltern erfahren. Es gibt Lücken in der medizinischen Versorgung, insbesondere bei der präventiven Gesundheitsversorgung. Zudem sind die Kinder in den Unterkünften oft mit Gewalt, Polizeieinsätzen und Kriminalität konfrontiert, was ihre Lage weiter verschlimmert. 

Es gibt eine deutliche Diskrepanz zwischen den Rechten, die allen Kindern in der Schweiz laut Bundesverfassung und der UN-Kinderrechtskonvention zustehen, und der Realität der Kinder in der Nothilfe.  

Empfehlungen 

Die aktuelle Praxis gefährdet ihr Wohlbefinden erheblich und erfordert dringende Reformen auf Bundes- und Kantonsebene. Insbesondere fordert der Bericht: 

  • Verbesserungen der Lebensbedingungen von Kindern in der Nothilfe. 
  • Besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung.
  • Erhöhte psychologische Unterstützung für Kinder und ihre Familien.
  • Eine stärkere soziale Integration der Kinder, unabhängig von ihrem Asylstatus. 

Die Rolle der Kirche

Kostenlose Angebote der Kirche sind für Menschen, die einen Wegweisungsentscheid erhalten haben und von Nothilfe leben müssen, von unschätzbarem Wert. Diese Menschen befinden sich oft in einer sehr schwierigen Situation, da sie isoliert und ohne ausreichende finanzielle Mittel leben. Die kirchlichen Angebote bieten nicht nur praktische Hilfe im Alltag, sondern auch wichtige soziale und emotionale Unterstützung: 

Offene Gemeinschaftsräume: Solche Räume schaffen einen Ort, an dem Geflüchtete und Menschen mit Nothilfe gemeinsam mit Einheimischen zusammenkommen können. Diese Angebote bieten Zeit für Austausch und Gemeinschaft, was besonders wertvoll ist, um der Isolation zu entkommen und das Gefühl von Zusammengehörigkeit zu stärken. 

Offene Mittagstische: Gemeinsame Mahlzeiten, die von Asylsuchenden und Mitgliedern der Gemeinde zubereitet werden, fördern den Austausch und schaffen Raum für Begegnungen zwischen Geflüchteten und Einheimischen.  

Treffen für Frauen mit Migrationshintergrund: Speziell für Frauen bieten diese Treffen einen geschützten Raum, um sich auszutauschen, Unterstützung zu finden und soziale Kontakte zu knüpfen. Für viele Frauen, die von Nothilfe abhängig sind, ist es eine Gelegenheit, sich in einer schwierigen Lebenslage zu vernetzen. 

Sprachkurse und Sprachcafés: Der Zugang zu kostenlosen Sprachkursen ist für viele Geflüchtete entscheidend, um die Sprache zu lernen und sich im Alltag zurechtzufinden. Sprachcafés bieten eine ungezwungene Möglichkeit, die Sprache zu üben und gleichzeitig mit anderen in Kontakt zu kommen. 

Unterstützung bei Alltagskompetenzen: Angebote zur Unterstützung bei Korrespondenz, Internetrecherchen oder dem Erlernen von grundlegenden Alltagskompetenzen helfen den Betroffenen, sich besser im administrativen System zurechtzufinden und selbstständiger zu werden. 

Lebensmittel- und Kleiderausgaben: Diese Angebote sind sehr gefragt, da die finanziellen Mittel der Nothilfe kaum ausreichen, um die Grundbedürfnisse der Betroffenen zu decken. Kostenlose Ausgaben von Lebensmitteln und Kleidung entlasten die Betroffenen. 

Zum Beispiel Basel: Kirche und Stadt

Die Sozialhilfe Basel-Stadt ist sehr gut ausgebaut. Sie bietet Beschäftigungsprogramme an, die es diesen Menschen ermöglichen, trotz Ausschluss vom regulären Arbeitsmarkt einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt ist als Partnerin der Stadt Teil des Sozialhilfenetzwerks, indem sie gezielt auch erwachsene Personen, die Nothilfe beziehen, in diese Strukturen vermittelt und gleichzeitig Beschäftigungsmöglichkeiten anbietet. 

Für die Betroffenen bedeutet dies nicht nur eine Möglichkeit, aktiv zu sein und sich in den Alltag zu integrieren, sondern auch einen kleinen finanziellen Zuschuss über den Integrationszuschuss der Sozialhilfe, der ihre dürftige Nothilfe aufbessert. Besonders für die Kinder ist es wichtig zu sehen, dass ihre Eltern arbeiten und Teil der Gemeinschaft sind, was ihnen Halt und Orientierung gibt. 

Ein weiteres wichtiges Element sind die jungen Erwachsenen, die nach einem negativen Asylentscheid in den Strukturen für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMAS) verbleiben, bis sie volljährig werden. Mit Erreichen der Volljährigkeit fallen sie oft aus diesen Strukturen heraus und stehen vor der Herausforderung, in Notschlafstellen untergebracht zu werden, wo das Umfeld häufig von Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen geprägt ist. Dank der Grosszügigkeit von Sozialhilfe und Migrationsamt Basel-Stadt wird diesen jungen Erwachsenen jedoch der Zugang zu Beschäftigungsprogrammen ermöglicht, die ursprünglich für andere Zielgruppen gedacht waren. So können sie tagsüber einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen und bleiben nicht auf der Strasse. 

Solche Programme geben den Betroffenen Hoffnung, eine Perspektive und die Möglichkeit, trotz der widrigen Umstände, in Würde zu leben und sich aktiv einzubringen. 

Kirche und Zivilgesellschaft 

Diese Beispiele zeigen, dass Kirchen weit mehr Möglichkeiten haben, als auf die Politik und die richtigen Entscheidungen zu warten. Als Kirchen können wir einen entscheidenden Beitrag leisten, indem wir Räume schaffen, in denen Hoffnung wächst und Teilhabe möglich wird. Die Arbeit mit Menschen, die vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder auf Nothilfe angewiesen sind, ist nicht nur ein Akt der Barmherzigkeit, sondern eine lebendige Form gelebter Nächstenliebe. 

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Kind mit Teddy
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Stephan Jütte

Dr. theol.

Leiter Theologie und Ethik
Mitglied der Geschäftsleitung

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