Letzten Sonntag war ich im Konfirmationsgottesdienst meiner Kirchgemeinde. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben den Gottesdienst geleitet und die Inhalte verfasst. Sie haben sich mit dem Thema «Zukunft» auseinandergesetzt. 60 Minuten lang haben sie hochanständig, eloquent und meistens ziemlich intelligent die nahe bevorstehende Apokalypse entworfen und den Teufel an die Wand gemalt. Wenn sie sich die Zukunft wirklich so vorstellen, möchte ich gegenwärtig nicht in ihrer Haut stecken.
«No future» gab es ja bereits. Das war knapp vor meiner Zeit und ich stelle mir vor, dass die Punks die Generationen ihrer Eltern und Grosseltern herausgefordert haben. Zu schmuddelig, zu unangepasst, zu laut und viel zu gleichgültig. Aber ich vermute, dass es Spass gemacht hat, ein Punk zu sein. Mindestens die Musik klingt bis heute so. Diese Konfirmanden und Konfirmandinnen waren überhaupt nicht ungepflegt oder laut. Ruhig und mit gewählten Worten erklärten sie, dass ihre Zukunft von verschiedenen Krisen geprägt sei: Der Klimakrise, der Umwälzung des Arbeitsmarkts durch Automatisierung und künstliche Intelligenz und durch die nahe bevorstehende technologische Singularität, infolge derer die Roboter über die Menschheit herrschen werden.
Das «Kumbaya my Lord» klang angesichts dessen eher wie ein verzweifelter Hilferuf und das «Grosser Gott, wir loben dich» hätten wir auch gerade so gut an die künftig herrschende Robotergeneration richten können. Als ich ihnen die Konfbilder überreichen durfte und sie in einem Halbkreis vor mir standen, dachte ich unvermittelt: Das ist die letzte Generation! Nicht, dass ich das wirklich glaube. Ich habe selbst Kinder, die jünger sind und glaube, dass ihnen eine gute Zukunft bevorsteht. Aber es fühlte sich so an, als verstünden sie sich als Vertreter:innen dieser letzten Generation.
Sie baten Gott nur noch darum, uns allen Wege zu zeigen und Ideen zu schenken, wie wir mit der Katastrophe, die eintreten wird, umgehen können.
Noch ältere als ich, aber auch weisse Männer haben sich in den vergangenen Jahren über Greta Thunberg lustig gemacht, als diese ihnen wütend entgegen schmetterte, dass das Haus in Flammen stehe. Greta glaubte wenigstens noch, dass es etwas zu löschen gäbe. Diese jungen Menschen fanden zu solch verstiegenen Hoffnungen nicht mehr die Kraft. Sie baten Gott nur noch darum, uns allen Wege zu zeigen und Ideen zu schenken, wie wir mit der Katastrophe, die eintreten wird, umgehen können. In all dem Wirrwarr wünschten sie sich krisensichere Berufe, gesunde und liebevolle Familien und etwas Frieden, wenn auch nicht für die ganze Welt, dann wenigstens für das eigene Land.
Als ich selbst 1998 konfirmiert worden bin, habe ich mir weder über Krieg noch über meine künftige Berufswahl und schon gar nicht über das Klima den Kopf zerbrochen. Wir standen kurz vor Abschluss der obligatorischen Schulzeit. Das Gymnasium wartete und die Zukunft lockte mit Freiheiten, zu denen wir noch nicht einmal Bilder im Kopf hatten.
Unser politisches Engagement beschränkte sich auf das heimliche Kiffen zu den Songs, die unsere Eltern schon gehört hatten.
Aber wir waren sicher: Alles wird nur noch besser! Ich gehörte zu der glücklichen Generation, die nichts wirklich ernst genommen hat. Nicht das Waldsterben, das unsere Primarlehrer noch beschäftigte oder Fukushima, nicht die möglichen Chemiekatastrophen (Schweizerhalle), nicht die Killer-Bienen oder AIDS, nicht 9/11, den Irak-Krieg oder die ständig angekündigten Weltwirtschaftskrisen. Unser politisches Engagement beschränkte sich auf das heimliche Kiffen zu den Songs, die unsere Eltern schon gehört hatten. Angst hatten wir nur davor, Entscheidungen zu treffen, die unsere Freiheit einschränken würden. Aber es gab so wenig zu entscheiden, dass wir damit sehr gut leben konnten.
Ohne Zweifel: Diese Konfirmand:innen stellten gegenüber meinem Jahrgang ein eindrückliches und zugleich bedrückendes Update dar. Gebildeter, informierter, aber auch verwirrter und resignierter. Angepasster und ruhiger als wir, aber ich glaube, in ihnen brodelt es. Die Generation meiner Eltern hat irgendwann aufgeschnappt, dass das chinesische Wort für Krise und Chance identisch ist. Ich bin nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Und falls es wirklich stimmen sollte, ob es echt so bedeutend ist. Vielleicht kann diese Konfirmand:innen-Generation es gar nicht glauben, weil sie die Corona-Krise mehrheitlich eben nicht als Corona-Chance, sondern als Vereinzelung, Isolierung und Bedrohung erlebt haben. Oder weil sie verstehen, dass hemdsärmliger Optimismus und technologischer Fortschritt keine Überschreitungen ökologischer Tipping-Points umkehren wird.
Vielleicht kann diese Konfirmand:innen-Generation es gar nicht glauben, weil sie die Corona-Krise mehrheitlich eben nicht als Corona-Chance, sondern als Vereinzelung, Isolierung und Bedrohung erlebt haben.
Jedenfalls würde ich diesem Jahrgang gerne etwas von unserer Unbeschwertheit abgeben. Vielleicht im Tausch gegen eine kleine Portion Problembewusstsein. Und ich denke, man sollte ihnen glaubwürdig zu verstehen geben, dass sie nicht die Zukunft sind, sondern vor allem eine Zukunft haben. Und die Gegenwart auch geniessen dürfen.
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2 Antworten
Lieber Stephan
Ein eindrücklicher und bedrückender Bericht aus der Berner Paulus-Kirche. Gab es denn im Rahmen der Konfirmation auch ein Deutungsangebot von Seiten des Pfarrers, das über die schüchternen Gebetsanliegen der Konfis hinausging? Und was würdest Du als Cheftheologe der EKS ihnen Theologisches sagen? Billigen Trost und billige Hoffnung verbieten wir uns ja mittlerweile, aber der blosse Aufruf zum Handeln, das ist uns ebenso klar, reicht auch nicht. Was hiesse „auf Gottes Zukunft setzen“ (mit den Worten der Berner Vision) angesichts der sachlichen Apokalyptik der frisch Konfirmierten?
Herzlich, Matthias
Lieber Matthias,
naja, Cheftheologe bin ich ja nicht gerade. Aber immerhin durfte ich im Namen des Kirchgemeinderats ein Wort an die Konfirmandinnen und Konfirmanden richten. Dabei habe ich an das „Sorgt euch nicht!“ erinnert. Es steht im NT ja gerade nicht für Gleichgültigkeit, sondern als Freiheit, in der das Trachten nach Gottes Gerechtigkeit möglich wird.
Herzlich, Stephan