Und Gott sah, dass es schlecht war

Die katholische Systematikerin Julia Enxing skizziert in ihrem neuen Buch eine Schöpfungslehre des 21. Jahrhunderts. Sie verfolgt damit zwei Ziele: Den christlichen Glauben über das folgenreiche Selbstmissverständnis des Menschen als Krone der Schöpfung aufzuklären und den christlichen Glauben als Ressource gegen die Ökologie-Katastrophe fruchtbar zu machen.

Das Buch gliedert sich in fünf ungefähr dreissigseitige Abhandlungen. In einem ersten Teil wird die biblische Schöpfungslehre einer Relektüre unterzogen. Nach summarisch abgehandelten Einleitungs- und Redaktionsfragen setzt Enxing sich in diesem Kapitel besonders mit der biblischen Verhältnisbestimmung von Geschöpf und Schöpfung, Mensch und Mitwelt auseinander. Sie bleibt dabei nicht durchwegs exegetisch beobachtend, sondern streut in die Analyse immer wieder appellative Zwischenrufe ein:

Es ist etwas anderes, wenn ein Löwe, der eine Gazelle fressen muss, um zu überleben, und dessen Organismus und Habitat diesem keine andere Nahrungsoption ermöglichen, diese auch wirklich frisst. Es ist etwas anderes, dass wir, die wir in Deutschland leben, täglich vor übervollen Supermarktregalen aus einer überbordenden Angebotsfülle (regional und saisonal unabhängig) unseren Speiseplan zusammenstellen können. (...) Ob wir es uns da moralisch wirklich leisten können, auf den Löwen zu verweisen?

Enxing, 44.

Im zweiten Teil unternimmt die Autorin anhand der Begriffe Anthropozän, Kapitalozän, Eurozän, Technozän eine Gegenwartsdiagnose, die sie im Anschluss an Jens Soentgen unter dem Schlagwort Phobozän auf den Begriff bringt. Die Christinnen und Christen sieht Enxing dabei in einer besonderen Verantwortung:

Nicht nur sind wir von G*tt als Bewahrer*innen der Schöpfung bestimmt worden, wir sind es, die die Botschaft des Lebens für alle bringen sollen.

Enxing, 70.

Dabei gibt die Autorin auch Einblick darin, was diese Einsicht für ihre eigene Lebensführung bedeutet. Sie hat die Selbstverpflichtungserklärung der Scientists for Future unterschrieben, fährt Strecken bis 1000 km nur mit der Bahn, besitzt kein Auto, ernährt sich vegan und kauft Fair Wear-Kleidung. Ein besonderes Übel erkennt die Autorin in der Abwertung nichtmenschlicher Lebewesen. Sie stellt diese in eine Reihe mit Rassismus und Antisemitismus.

Das dritte Kapitel liest sich wie eine verdichtete und bisweilen kämpferische Gegenthese zu Rutger Bregmans Bestseller "Im Grunde gut". Enxing leugnet nicht die erheblichen Fortschritte, denen sich unsere Zivilisation in ihrer heutigen Form verdankt. Aber sie gibt zu bedenken:

Eroberungen, Erfindungen und Produktion waren nicht umsonst. Der Preis, der hier bezahlt wurde, ist Kolonialisation, Sklaverei, Genozide, die Ausbeutung von Mensch und nichtmenschlicher Natur.

Enxing, 85.

Diese Entwicklung beschreibt die Autorin als "Entsolidarisierung mit unserem Planeten" (104). In Leonardo Boffs Rede von der gekreuzigten Erde erkennt Enxing einen Weg jenseits verklärender Naturromantik oder achselzuckenden Defätismus': "Die 'gefallene Schöpfung' und die 'gekreuzigte (Mutter) Erde' stehen theologisch in unmittelbarer Spannung zum angebrochenen Reich G*ttes und unserem Auftrag, dieses zu leben, zu gestalten und aufblühen zu lassen sowie eine Neuschöpfung von Himmel und Erde freudig zu antizipieren." (109)

Im vierten Kapitel skizziert Enxing eine "integralistische Ethik", die Kultur und Natur und Mensch und Natur in ein neues, adäquateres Verhältnis setzen will. Sie erinnert im Anschluss an Schweitzers berühmte Formulierung - "Leben inmitten von Leben, das leben will" - an die beziehungshafte Grundstruktur menschlicher Kreatürlichkeit. Im westlichen Denken habe diese Struktur aber zu einer anthropozentrischen Verkürzung geführt:

Umweltrechte oder Rechte der Natur werden meist nur insofern diskutiert, als die Missachtung von etwas, das wir als 'Klimarechte' bezeichnen, für unser Leben problematisch sein könnte.

Enxing, 123.

Dass dieser zweckrationale Zugang zu unserer Mitwelt nicht ohne Alternative ist, zeigt die Autorin mit Blick auf südamerikanische Konzepte. Eine theologische Ressource erkennt die Autorin in der berühmten Matthäusstelle "Was ihr einem meiner Geringsten getan habt, habt ihr für mich getan." (Mat 25,40) Sie reformuliert: "Was ihr denjenigen, die euch nahe und verwandt sind, getan habt, das könnt ihr auch auf die andern übertragen, ihr tut mir - dem G*ttlichen - das an, was ihr euren Nächsten antut." (138)

Die "Dunkelgrünen Religion" nimmt Enxing als Inspirationsquelle auf, um das nichtmenschliche Leben nicht bloss als religiösen Gegenstand, sondern als religiöse Sphäre anzunehmen und die anthropozentristischen Verengungen zu überwinden. Es geht dabei nicht um eine ethische Orientierung oder eine moralisch erwachsende Selbstverpflichtung des Menschen, sondern um eine religiöse Gestimmtheit, die spirituell erfahren wird.

Im fünften Teil geht es um konkrete Missstände, Forderungen und Möglichkeiten, diesen politisch und theologisch zu begegnen. Die Klimakrise fungiert dabei als Scharnier, um verschiedene Bereiche, wie etwa das Wirtschaftssystem, das Menschenbild, transgenerationale Gerechtigkeitsfragen oder globale Ungerechtigkeiten zu diskutieren. Enxing akzentuiert den Begriff der Verantwortung nicht pflichtethisch, sondern als ein Bewussteinsparadigma:

Es mag pathetisch klingen, aber ich halte nichts für so dringend wie die Aufgabe, ein neues Bewusstsein für unsere inner- und intergenerationellen sowie planetarischen Verwobenheiten zu schärfen und einen neuen Weg einzuschlagen.

Enxing, 159.

Die Hinführung zu einem solchen Bewusstsein unternimmt die Autorin mittels Verschränkung von Forderungen und Einsichten (christlicher) Klimaaktivist:innen mit biblischen und kirchlichen Motiven und Grundlagen.

Kritik

Enxings Buch will aufrütteln. Es lebt von der Wahrnehmung, dass das Haus brennt, es Fünf nach Zwölf ist und Handeln nottut. Es ist eine engagierte Schrift, nicht aus dem theologischen Elfenbeinturm, sondern im Geist der Klimastreiks und Proteste. Christliche Hoffnungsmotive werden darin nicht als Sedativum gereicht, sondern wahlweise als motivationale Katalysatoren oder Koffeintabletten gegen den eigenen Defätismus eingesetzt. Wenn sie Recht hat - und vieles spricht dafür - handelt es sich um ein Buch, das unsere Zeit braucht.

Am stärksten ist es dort, wo es gelingt, Religion nicht als moralische Ressource, sondern als Gestimmtheit, Gefühl, innere Kraft ins Spiel zu bringen. Dies gelingt m.E. v.a. in den Kapiteln vier und fünf immer wieder. Leider wirkt das Buch an manchen Stellen etwas verkrampft und unnötig klassenkämpferisch. Zum Beispiel, wenn Enxing ausführlich schildert, dass Reichtum offensichtlich nicht bei allen Unwohlsein hervorrufe: "Ich erinnere mich an eine Mitgliederversammlung eines kirchlichen Hilfswerkes (ausgerechnet!), bei dem der Herr neben mir zunächst ein wenig zu spät in den grossen Saal mit der langen Tischtafel der Tagenden kam, dann mit grossem Geklapper Platz nahm - alle Augen auf ihn, Stille im Raum -, um dann in Zeitlupe den Schlüssel seines Porsche Cayenne sehr langsam auf den Tisch zu legen, die Augen aufrichtete, in die Runde schaute und - die Sitzung war längst unterbrochen - langsam und deutlich 'Guten Tag' sagte." (67f.)

Vielleicht gehört dieser Gestus dazu, wenn man selbst engagiert ist. Mich haben die weniger moralischen, visionären Stellen besser abgeholt und für die lohnt sich die Lektüre allemal.

Julia Enxing: Und Gott sah, dass es schlecht war. Warum uns christlicher Glaube verpflichtet, die Schöpfung zu bewahren, Kösel-Verlag, München 2022.

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Stephan Jütte

Dr. theol.

Leiter Theologie und Ethik
Mitglied der Geschäftsleitung

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